Ahrenshoop

Schifferkirche

Anschrift Kirche
Paetowweg 4
18347 Ahrenshoop
  • Informationen
    Kontakt / Öffnungszeiten Kirche Zur Webseite
    geöffnet:
    Oktober bis Mai: DO - SO: 10.00 - 16.00 Uhr
    Juni bis September: tägl. 10.00 - 16.00 Uhr
    MO geschlossen.
    Anschrift Pfarramt Evangelische Kirchengemeinde Prerow
    Kirchenort 2
    18375 Prerow
    038233 69133
    E-Mail
    Zur Webseite
    Öffnungszeiten Pfarramt DI, FR: 10.00 - 12.00 Uhr
    Gottesdienstzeiten Kirche Die aktuellen Gottesdienstzeiten können online eingesehen werden unter: www.kirchengemeinde-prerow.de/gottesdienste/.
    Kirchen im Norden

Die „Selbsthilfekirche“

Um eine gute Kirche zu bauen, braucht es ein ganzes Dorf – in diesem Fall ein Künstlerdorf. Auf der Ostseehalbinsel Darß siedelten schon um 1900 Maler mit ihren „Kunstkaten“. Als Ahrenshoop 1949 auch eine Kapelle bekommen sollte, waren die Baustoffe knapp und die DDR-Regierung wenig hilfsbereit. So trugen bis 1951 alle Gemeindeglieder ihren Teil bei: Die Ahrenshooper Bildhauerin Doris Oberländer-Seeberg schuf die hölzerne Ausstattung aus einer Pappel, die auf dem Grundstück gefällt werden musste. Der Dorfschmied fertigte Türschmuck, Giebelkreuz und Kerzenständer. Der Architekturstudent Hardt-Waltherr Hämer nutzte die Schreibtischplatte seines Vaters für den Altar und die Schüssel seiner Mutter als Taufschale. Rückblickend bezeichnete er seinen spitzbogigen reetgedeckten Holzbau ein wenig stolz als „Selbsthilfekirche“.

  • Überblick
    Ort
    Ahrenshoop

    Landeskirche
    Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche)


    Name der Kirche
    Schifferkirche

    Einweihung
    1951 (14. Oktober)

    Architekt
    Hardt-Waltherr Hämer

    Künstler
    Doris Oberländer-Seeberg
    Besonderheit
    Mit einfachen regionalen Materialien (Holz, Reet, Ziegelsteine) setzte der Architekturstudent Hardt-Waltherr Hämer in der frühen Nachkriegszeit einen außergewöhnlichen spitzbogigen Kirchenbau in das Künstlerdorf Ahrenshoop.

    Nutzung
    Gemeindekirche

    Standort / Städtebau
    Am nordwestlichen Rand von Ahrenshoop steht die Kirche – am Fuß des 15 Meter hohen Schifferbergs, westlich des Schifferfriedhofs, südöstlich der Dorfstraße, zwischen den Straßenzügen Schifferberg und Paetowweg – frei in der Landschaft der Ostseehalbinsel Darß.

  • Beschreibung
    Grundriss

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Grundriss

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Grundriss

     

    Die Schifferkirche erhebt sich auf einem längsrechteckigen Grundriss. Zwischen zwei Bankblöcken führt der Weg vom Eingang im Westen unter der Empore hin zum zweigestuften Altarraum im Osten. Hinter der mittig zu einer Nische zurückspringenden Altarwand nimmt das letzte von sechs Jochen die Sakristei und das Pfeifenwerk der Orgel auf. Dem Schiff ist im Süden ein freistehender Glockenträger auf einer mandelförmigen Grundfläche zur Seite gestellt.

     

    Außenbau

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Außenbau | Foto: MikesSeite.de

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Foto: MikesSeite.de

    Der Außenbau wird geprägt durch natürliche Materialien: Unter dem Reetdach reihen sich sieben hölzerne spitzbogige Dreigelenkbinder zum langgestreckten Kirchenschiff. Die Seitenwände werden durch die Binderfüße wie durch Strebepfeiler rhythmisiert. Am Ostgiebel zeichnet die in der Mitte vorspringende hölzerne Stülpschalung indirekt die Altarnische nach. An den Seiten dieses Wandvorsprungs verlaufen Fensterbänder. Auch das Reetdach zeigt zwischen dem fünften und sechsten Joch eine gläserne Fuge. Die West- bzw. Eingangsseite wird von einer – durch feingliedrige Holzstreben unterteilte – Glasfläche ausgefüllt. Zu Seiten des Kirchenschiffs umfangen zwei zueinander gebogene COR-TEN-Stahlplatten den Glockenstuhl.

     

    Innenraum

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Innenraum | Foto: MikesSeite.de

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Foto: MikesSeite.de

    Der Kirchenraum wird von den Spitzbögen der Holzbinder überfangen. Während die Stülpschalung in diesem „Gewölbe“ waagerecht verläuft, sind die niedrigen Seitenwände senkrecht geschalt. Die Brauntöne der Wand-und Deckenflächen, der hölzernen Bänke und Ausstattungsstücke werden durch das Rot des Ziegelstein-Fußbodens ergänzt. Der Westempore steht im Osten der zweifach gestufte Altarraum gegenüber, dessen Altartisch (von der Gemeinde aus gesehen) links durch den Taufständer und rechts durch den Kanzelkorb gerahmt wird. Die mit Klarglas versehene Eingangsseite versorgt den Kirchenraum rückwärtig mit Tageslicht, während die Altarnische seitlich, indirekt und teils künstlich erhellt wird.

  • Liturgie und Raum
    Ahrenshoop | Schifferkirche | Glockenträger | Foto: Klugschnacker, CC BY SA 3.0

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Glockenträger | Foto: Klugschnacker, CC BY SA 3.0

    In Ahrenshoop stand der Architekturstudent Hard-Waltherr Hämer vor der kniffligen Aufgabe, in einer bereits außergewöhnlichen Umgebung unter erschwerten Umständen einen mindestens ebenso außergewöhnlichen „Sakralbau“ zu schaffen. Seine Lösung: Er brachte einfache regionale Materialien (Holz, Reet, Ziegelsteine), wie sie in Ahrenshoop die Regel waren, in eine klassische kirchliche Form (Spitzbogen), wie sie in dieser Umgebung noch fehlte. Der Einsatz von Holzbindern, die Anlehnung an gotische bzw. wiederum expressionistische Stilelemente erinnert an das Spätwerk Otto Bartnings, an dessen etwa zeitgleiches Notkirchenprogramm. Beide setzten auf die ebenso kostengünstige wie zeichenhafte Mitarbeit der Ortsgemeinde, beide wählten die traditionelle Raumordnung der Wegekirche mit einem erhöhten Altarbereich. Damit formten sie aus Einzelchristen (im besten Wortsinn) eine „Notgemeinschaft“, schufen mit einfachsten Mitteln auf kleinstem Raum eine durchaus „sakral“ zu nennende Predigtstätte. Diesen Ansatz überführte Hämer 2005 mit einem Glockenträger, der ebenso an einen Kirchturm wie an ein freistehendes Kunstwerk erinnert, stimmig ins 21. Jahrhundert.

  • Ausstattung
    Ahrenshoop | Schifferkirche | Taufe | Foto: Der wahre Jakob, CC BY SA 4.0

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Taufe | Foto: Der wahre Jakob, CC BY SA 4.0

    Bis heute zeigt die Schifferkirche fast noch vollständig die Ausstattung der ersten Jahre. Gemeinsam mit/unter Anleitung von Hardt-Waltherr Hämer wurden die Metallarbeiten – das Christusmonogramm sowie das Alpha und Omega am Portal, die Kerzenleuchter, das Giebelkreuz – vom Dorfschmied gefertigt. Über die Kirche verteilt, tragen vier Schiffsmodelle des Kapitäns Heinrich Voss die zeichenhaften Namen „Glaube“, „Liebe“, „Hoffnung“ und „Frieden“. Die Ahrenshooper Bildhauerin Doris Oberländer-Seeberg gestaltete einen Taufständer, für den drei hölzerne Kinderfiguren eine Messingschale tragen. Ihr Holzrelief des Kanzelkorbs zeigt die Symbole der vier Evangelisten. Die leicht zurückgesetzte hölzerne Stirnwand der Altarnische mit dem schlichten Holzkreuz schmückte Oberländer-Seeberg in Kerbschnitzerei mit Jesusworten aus dem Johannesevangelium (Joh 14). 1961 verortete man auf der Empore eine Schuke-Orgel, die 2013 in die Dorfkirche Mescherin (Uckermark) verbracht wurde. Stattdessen integrierte der Dresdener Kristian Wegscheide das neue Instrument 2013 in den Altarbereich: Der Spieltisch steht (von der Gemeinde aus gesehen) vorne im linken Bankblock, das Pfeifenwerk ist links hinter der Altarwand verborgen. Mit der Kirchensanierung wurde die ursprüngliche Konstruktion des Altars, als Hämer die Marmorplatte auf Ziegelsteinstützen gelegt hatte, durch ein bewegliches Metallgestell ersetzt.

  • Von der Idee zum Bau
    Ahrenshoop | Schifferkirche | Foto: Klein, 1954, Bild: Bundesarchiv 183-24590-0001, CC BY SA 3.0

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Foto: Klein, 1954, Bild: Bundesarchiv 183-24590-0001, CC BY SA 3.0

    Als der Architekturstudent Hardt-Waltherr Hämer 1949 hörte, dass in Ahrenshoop eine Kirche gebaut werden sollte, wurde er beim Pfarrer vorstellig, zeichnete einen Entwurf und erhielt den Zuschlag. Die sensible Lage im (ab 1950) denkmalgeschützten Künstlerdorf, der Materialmangel der Nachkriegsjahre und die zunehmend kirchenfeindliche DDR-Politik erschwerten das Projekt. Schon vor Arbeitsbeginn musste der Bauplatz mehrfach getauscht werden. Ab dem 6. Oktober 1950 wurde das Fundament gelegt, am 14. Oktober 1951 die fertiggestellte Kirche eingeweiht.

    Mit den folgenden Jahren hatte der Kirchenbau gelitten: Holzschutzmittel ließen die Oberflächen stark nachdunkeln, Wasser- und Fäulnisschäden setzten ein, ein improvisiertes Glockendach am rückwärtigen Giebel verunklarte die Gesamtform. Zum 50-jährigen Jubiläum gründete sich daher ein Kirchbauverein und sammelte Geld für eine Sanierung, die wieder durch den Architekten Hardt-Waltherr Hämer angeleitet werden konnte. Bis 2005 renovierte er die bestehende Schifferkirche, erweiterte sie nach Osten um ein sechstes Joch und ergänzte im Süden einen freistehenden Glockenträger. Im Jahr 2013 wurde zudem eine neue Orgel in den Altarbereich integriert.

  • Der Architekt Hardt-Waltherr Hämer
    Ahrenshoop | Schifferkirche | Außenbau | Foto: Schiwago, GFDL oder CC BY SA 3.0

    Ahrenshoop | Schifferkirche | Foto: Schiwago, GFDL oder CC BY SA 3.0

    Hardt-Waltherr Hämer wurde 1922 in Hagen bei Lüneburg geboren. 1952 schloss er sein Studium an der Hochschule für bildende Künste (HdK) Berlin ab. Zunächst arbeitete er in den Architekturbüros von Hans und Wassili Luckhardt, von Gerhard Weber und von seinem Vater Walter Hämer. Schließlich machte er sich 1959 mit seiner Frau, der Architektin Brigitte Hämer-Buro selbstständig. Hardt-Waltherr Hämer starb 2012 im Alter von 90 Jahren in Ahrenshoop, wo er mit der Schifferkirche von 1949 bis 1951 (nach seiner Werkarchitektenprüfung, vor seinem Abschluss an der HdK) sein erstes Projekt verwirklicht und 2005 nochmals erweitert hatte.

    Hämer verstand es zeitlebens, außergewöhnliche Einzelformen behutsam in ihre gewachsene Umgebung einzubetten. Einen Namen machte er sich vor allem im Theater- und im Städtebau, beispielhaft sind zu nennen das Theater und der Festsaal Ingolstadt (1966) sowie die Stadthalle Paderborn (1982). Ab Ende der 1960er Jahre wirkte er in Berlin in der (Alt-)Stadterneuerung, ab 1980 als Planungsdirektor der IBA Berlin-Alt „Behutsame Stadterneuerung Kreuzberg“, anschließend als Geschäftsführer der „Gesellschaft zur behutsamen Stadterneuerung“. Hämer lehrte an der HdK Berlin, war Direktor und Vorstand der Stiftung Bauhaus Dessau, wurde u. a. mit der Ehrendoktorwürde der TU München, dem Deutschen Architekturpreis und dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet.

  • Literatur (Auswahl)
    • Holger Barth (Hg.): Grammatik sozialistischer Architekturen. Lesarten historischer Städtebauforschung zur DDR, Berlin 2001, hierin: 14, 182-183.
    • Heiko Bergmann: Strandkorb, Bäderdampfer und Feriendienst. Die Geschichte des Bädertourismus in Mecklenburg-Vorpommern, Ueckermünde 2005, 64.
    • Hardt-Waltherr Hämer: 1951 – 2001. 50 Jahre Kirche Ahrenshoop, Ahrenshoop 2001.
    • Rudolf van Nahl: Kirchen auf dem Darß, 3. Auflage, Wettin-Löbejün 2016, 35.
    • Ruth Negendanck: Doris und Hans Emil Oberländer. Ein Künstlerpaar in Ahrenshoop, Fischerhude 2003.
    • Manfred Sack (Hg.): Hardt-Waltherr Hämer. Stadt im Kopf, Berlin 2002.
    • Wolfgang Steusloff: Kirchen-Schiffsmodelle in Mecklenburg-Vorpommern, Rostock 2003, hierin: 17, 56.
    • MikesSeite.de: Reisebericht und Fotostrecke von Mike Schlimm zum Künstlerdorf Ahrenshoop [mikesseite.de/2014/05/ahrenshoop.html, Abrufdatum: 23. Mai 2017]. Wir danken für die freundliche Genehmigung, die Fotografien hier zeigen zu dürfen.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald (online seit 05/2017)

Kirchen in der Nähe

Binz | Stella Maris

Güstrow | Mariä Himmelfahrt