Bad Liebenstein

St. Kilian

Anschrift Kirche
Ruhlaer Str. 14
36448 Bad Liebenstein

Lichter Würfel

Am Westrand des Thüringer Waldes liegt der gut 4000 Einwohner zählende Kurort Bad Liebenstein. Das älteste Heilbad Thüringens wurde überregional bekannt als Sommerresidenz der Herzöge von Sachsen-Meiningen. Um die eisenhaltige Sauerquelle entwickelte sich besonders im 19. Jahrhundert ein beliebtes, viel besuchtes Kurzentrum, das später zum größten Herz-Kurort der DDR aufstieg. Eine kleine katholische Kirchengemeinde wuchs mit dem Zuzug von Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg zur Pfarrei heran. Sie feierte ihre Gottesdienste über Jahrzehnte im katholischen Kurheim „Maria Regina“, ehe sie im Sommer 2000 einen eigenen Kirchenbau erhielt. Das Saarbrücker Architektenbüro Alt & Britz errichtete ihn auf der Grundlage eines Wettbewerbsgewinns …

  • Überblick
    Ort
    Bad Liebenstein

    Bistum
    Bistum Erfurt

    Name der Kirche
    St. Kilian

    Weihe
    2000 (9. Juli)

    Architekten
    Peter Alt, Thomas Britz

    Künstler
    Tobias Kammerer, Gisela Lewecke-Weyde
    Besonderheit
    Ein intimer, geradezu kapellenartiger Neubau, der in liturgischer Anordnung und gestalterischer Symbolik auf die Bedürfnisse einer gewachsenen und doch kleinen Gemeinde an einem Kurort reagiert.

    Nutzung
    Filialkirche der kath. Kirchengemeinde St. Andreas in Bad Salzungen

    Standort / Städtebau
    Das Gemeindezentrum findet sich nördlich der zentralen innerstädtischen West-Ost-Achse „Bahnhofstraße – Herzog-Georg-Straße“. Nach Westen schließt ein Wohnviertel an, nach Norden der Elisabethpark. Richtung Kurgebiet (Osten) sowie Stadtzentrum (Süden) gibt es Planungen für neue städtebauliche Anbindungen und Entwicklungen rund um den nahen Grumbach.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Bad Liebenstein | St. Kilian | Grundriss

    Bad Liebenstein | St. Kilian | Grundriss

    Der Bauplan des Gemeindezentrums St. Kilian setzt sich aus Gemeindehaus, Pfarrhaus und Kirchenraum zusammen. Die pastoralen Bereiche des Bauensembles rahmen, als rechteckige Langhäuser geformt, von Nordwesten bzw. Südosten einen Platz, aus dessen Mitte der eigentliche Kirchenbau herauswächst. Fußend auf einem quadratischen Baugrundriss ist er auf eine liturgische Zone ausgerichtet, die in seiner von Nordwest nach Südost verlaufenden Mittelachse angelegt wurde. Kirche und Gemeindehaus sind über ein schmales Foyer miteinander verbunden, durch Öffnen von Schiebeelementen können sie in zwei Stufen zu einem Großraum vereint werden. Neben den hierbei einbezogenen zwei Gemeinderäumen wurden im Gemeindehaus Sakristei, Pfarrbüro und Archiv sowie Teeküche, Toiletten und Stuhllager eingerichtet.

     

    Außenbau

    Bad Liebenstein | St. Kilian | Außenbau | Foto: Architekturbüro Alt

    Bad Liebenstein | St. Kilian | Foto: Architekturbüro Alt

    Das freistehend errichtete Bauensemble wird durch die einheitliche Oberflächengestaltung der Wandzonen in rötlichem Putz als zusammengehörig ausgewiesen. Zwischen Pfarrhaus und Gemeindehaus samt Kirchenbau ist ein großzügiger Platz angelegt, dessen Belag nahtlos die Farbigkeit der Gebäudefassaden fortsetzt. Den Kirchenbau beherrscht ein großer, lichterfüllter Glaswürfel, der turmartig über dem Zentrum der Dachzone aufragt. Die darunter liegende Dachebene wurde über die vier Gebäudeecken abgeschrägt und heruntergezogen, womit eine achtseitige, oktogonartige Dachfläche entstand. Aufgebrochen ist das sehr schlichte Erscheinungsbild durch dreiseitig reliefartig aus den Wandflächen herausgearbeitete Kreuzformen. Das Kreuz der Südostseite durchbricht die Kirchenwand und ist als Lichtkreuz verglast. An der Südwestseite findet sich unterhalb der Dachkante eine kleine, frei hängende Glocke, an der Nordwestseite ist der quadratische Kirchenbau über einen glasüberdachten, niederen Eingangsbereich mit dem Gemeindehaus verbunden. Dieses weist, wie auch das jenseits des kleinen Freiplatzes stehende, loggienartig zu diesem geöffnete Pfarrhaus, ein je zum Kirchenbau hin abfallendes Pultdach auf. Insgesamt sucht die Bauentwicklung eine Einbindung in die umgebende Stadt- und Kulturlandschaft, unter Bezug- und Rücksichtnahme auf im Umfeld (längerfristig) laufende städtebauliche Prozesse.

     

    Innenraum

    Bad Liebenstein | St. Kilian | Innenraum | Foto: Architekturbüro Alt

    Bad Liebenstein | St. Kilian | Foto: Architekturbüro Alt

    Der Besucher erreicht den Kirchenraum über ein schmales, zwischen Kirche und Gemeindehaus eingezogenes, gläsernes Foyer, das von einer kassettierten Lichtdecke überspannt wird. Von diesem führen zwei in großen Schiebeelementen gelagerte Türen von Nordwesten in den stufenlosen, quadratischen Kirchenraum. Dessen Wandzonen sind vollständig geschlossen, der Lichteinfall kommt wesentlich über den nach unten, in den Raum hin offenen Lichtwürfel oberhalb der Dachzone. Das Zentrum des Raums bildet die von Nordwest nach Südost angeordnete Mittelachse, auf der man Taufe, Altar, Ambo und Vorstehersitz aufstellte. Zweiseitig sind die Bänke in vier Blöcken von Nordost bzw. Südwest her auf sie bezogen. Die liturgische Achse führt vom Foyer bis zu dem in die (Süd-)Ostwand eingelassenen Lichtkreuz. Dieses ist im Innenraum mit lichtdurchlässigen Marmorplatten verkleidet. In sein Zentrum ist der metallene Tabernakel eingelassen. Ansonsten ist der hell gehaltene Raum mit seinen in Analogie zum Außenbau von der Decke heruntergezogenen Ecken schlicht gestaltet. Gewissermaßen als Negativform des äußeren Wandkreuzes findet sich an der Nordost- und Südwestwand je ein reliefartig vortretendes Kreuz. Auch in die Schiebeelemente an der Nordwestseite des Raumes wurde eine Kreuzform eingearbeitet. Mit dem Lichtkreuz an der Südostseite umschließen so vier große Wandkreuze die versammelte Gemeinde, des Weiteren wird die Kreuzform in den Fenstersprossen der Laterne über dem Kirchenraum wiederholt. Der Boden im Kirchenraum wurde wie im Außenbereich in rotem Backstein entwickelt.

  • Liturgie und Raum
    Bad Liebenstein | St. Kilian | Foto: Architekturbüro Alt

    Bad Liebenstein | St. Kilian | Foto: Architekturbüro Alt

    Von den Plätzen der Gemeinde zweiseitig eingefasst, ist die von Nordwest nach Südost verlaufende Mittelachse des Raums mit Taufe, Altar und Ambo als Versammlungsmittelpunkt entwickelt. Die der Planung und dem Bau von St. Kilian vorgeschaltete Wettbewerbs-Ausschreibung hatte – in Aufnahme der liturgischen Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils – eine Umsetzung der „zum Gottesdienst versammelten Gemeinde … (als dem) grundlegenden Bild für die gestalterische Ausformung des Kirchenraums“ gefordert. Danach sei „der Altar die Wesensmitte des Kirchenraumes, an dem sich die anderen liturgischen Orte auszurichten haben. Die Anordnung der Altarzone und der Gemeinde im Kirchenraum haben die optischen und akustischen Kommunikationsvorgänge der liturgischen Handlungen zu erleichtern.“ (Zitat bei Walter Zahner 2002) Der mit 84 Sitzplätzen vergleichsweise intim und kapellenartig ausgebildete Raum ermöglicht eine intensive, tätige Teilnahme der Gemeinde am liturgischen Geschehen. Durch Öffnen von großen Schiebeelementen kann er mit dem angrenzenden Foyer und weiters mit den Gemeinderäumen im Gemeindehaus zu einem Großraum verbunden werden. Die Gemeinde sitzt dann in U-Form um Altar und Liturgieachse.

  • Ausstattung
    Bad Liebenstein I St. Kilian | Foto: Silvia Berndt

    Bad Liebenstein I St. Kilian | Foto: Silvia Berndt, Gemeinde Bad Liebenstein

    Der Altar ist aus vier massiv in Backstein aufgemauerten Stelen entwickelt, die eine dicke weiße Marmorplatte tragen. Ebenfalls in Marmor gestaltet ist der auch als Weihwasserspender nutzbare Taufstein. Der Tabernakel wurde mittig in das in die (Süd-)Ostwand eingearbeitete, mit dünnen Marmorscheiben bedeckte Lichtkreuz integriert. Schlicht in Holz erstellt wurden Ambo und Vorstehersitz. Den Lichtwürfel, die gläserne Laterne über dem Kirchenraum gestaltete der Künstler Tobias Kammerer aus Rottweil: Die vierseitig horizontal angebrachten Glasfenster entwickelte er in durch die Farbe Gelb bestimmten Abstraktionen, die Scheibe nach oben blieb frei dem Himmel zugewandt. Kleine, in den Boden eingelassene Metallplatten sollen als „Grundsteine“ an die Apostel erinnern. An den Wänden der Kirche bzw. im Eingangsbereich platzierte man – zumeist barocke – Heiligenfiguren, eine Marienfigur und den von der Künstlerin Gisela Lewecke-Weyde aus Halle (Saale) stammenden Kreuzweg, der aus der einstigen Kapelle im früheren Kurheim „Maria Regina“ – heute privat als „Hotel Kapelle“ genutzt – übernommen wurde. In den vom Eingang aus rechten, vorderen Bankblock wurde die Orgel integriert. Die von einem Gemeindemitglied gestiftete Glocke goss die Firma A. Bachert, Heilbronn, im Jahr 2000. In vielen Bauteilen und Ausstattungsstücken der Kirche begegnet ein aus vier Quadraten gebildetes, stilisiertes Kreuz: Es nimmt Bezug auf den quadratischen Gebäudegrundriss, dem wiederum die Vorstellung vom himmlischen Jerusalem (Off 21) zugrunde gelegt ist.

  • Von der Idee zum Bau
    Bad Liebenstein I St. Kilian | Foto: Architekturbüro Alt

    Bad Liebenstein I St. Kilian | Querschnitt Gebäudeanlage | Plan: Architekturbüro Alt

    Erst seit dem frühen 20. Jahrhundert fanden die in Bad Liebenstein lebenden Katholiken durch private Initiative allmählich zu einer Gemeinde zusammen. 1946 dann zur Kuratie und ab 1957 zur Pfarrei erhoben, feierte man über viele Jahrzehnte zunächst im zur Kapelle umgestalteten Dachboden, später dann im umgestalteten Speisesaal eines ursprünglich privaten Baus Gottesdienst. Das dem hiesigen Bistum Würzburg einst von einer adeligen Konvertitin überlassene Haus „Maria Regina“ wurde zuerst von „Schwestern des Erlösers“ betreut und diente ab 1949 als Caritas-Erholungsheim für Priester, Ordensleute und Seelsorgshelferinnen. Als das Haus nach der „Wende“ und dem Übergang der Gemeinde zum wiederbelebten Bistum Erfurt Mitte der 1990er Jahre aufgegeben (und verkauft) werden sollte, erwarb die nun ca. 700-800 Mitglieder zählende Gemeinde ein gut 2000 m² großes Grundstück von der Stadt. Im Herbst 1997 schrieb man, unterstützt vom Bischöflichen Bauamt, thüringenweit offen einen Realisierungswettbewerb mit fünf Zuladungen aus. Unter 43 eingereichten Arbeiten erlangten die Saarbrücker Architekten Peter Alt und Thomas Britz den ersten Preis. Nach intensiven Diskussionen und unter Mithilfe des diözesanen Bauamtes erhielten sie schließlich den Auftrag zur Ausführung. Es folgte die Grundsteinlegung am 21. Mai 1999 und bereits am 3. September 1999 konnte das Richtfest begangen werden. Am 9. Juli 2000 wurde der Kirchen-Neubau vom damaligen Erfurter Bischof Joachim Wanke geweiht, zu dem die Architekten ausführten: „Das Pfarrzentrum soll als geistige Mitte des Ortes, die Kirche als geistige Mitte des Pfarrzentrums, der Altar als geistige Mitte der Kirche erfahrbar gemacht werden. Der Ort verdichtet sich zu seiner geistigen Mitte hin.“ (Homepage Peter Alt Architekten und Stadtplaner)

  • Die Architekten
    Bad Liebenstein I St. Kilian | Foto: Architekturbüro Alt

    Bad Liebenstein I St. Kilian | Foto: Architekturbüro Alt

    Dipl.-Ing. Architekt Peter Alt wurde 1960 in Eppelborn im Saarland geboren. Nach einer Ausbildung zum Bauzeichner studierte er an der Fachhochschule des Saarlandes Architektur mit Diplom-Abschluss 1988. Bereits während des Studiums in einem Saarbrücker Büro tätig, war er von 1988 bis 1993 freier Mitarbeiter bei Miroslav Volf in Saarbrücken. Einem Aufbaustudium an der Kunstakademie Düsseldorf folgte ab 1993 die Arbeit als freier Architekt, aktuell führt er das Büro „Peter Alt Architekten und Stadtplaner“ in Saarbrücken. – Dipl.-Ing. Architekt Thomas Britz wurde 1963 in Saarbrücken geboren. Er studierte ebenfalls an der Fachhochschule des Saarlandes Architektur mit Diplom-Abschluss 1987. Später folgte ein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf und an der ETH Zürich mit ETH-Diplom 2003. Von 1986 bis 1987 war Britz freier Mitarbeiter bei Oswald Mathias Ungers in Köln, anschließend bis 1992 bei Miroslav Volf in Saarbrücken. Ab 1993 als freier Architekt tätig, zudem lange Jahre auch als Dozent an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, führt er aktuell das „Atelier Britz Architektur und Stadtplanung“ in Iselsberg/Österreich mit Filialen in Blieskastel und Hamburg.
    Ein gemeinsames Büro betrieben Alt und Britz ab 1993 – mit Unterbrechungen – bis 2013 in Saarbrücken. Herausragende Projekte sind etwa die Landesvertretung Saarland in Berlin (2000), die Bereichsbibliothek Universität Saarland in Saarbrücken (2005) oder der Ausstellungs- und Veranstaltungsraum im ehemaligen Erzsilo des Weltkulturerbes Völklinger Hütte (2006). Im kirchlichen Bauen ragt neben St. Kilian in Bad Liebenstein die Kirche Maria Königin in Obersalbach im Saarland (1998) hervor. Mit verschiedenen Auszeichnungen und zahlreichen Wettbewerbsteilnahmen gehören Alt und Britz zu den bekanntesten Architekten im Saarland, beide waren und sind vielfältig in Gremien und Institutionen engagiert – etwa bei der Architektenkammer und im Bund Deutscher Architekten (BDA).

  • Literatur (Auswahl)

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Matthias Ludwig, Schweinfurt (Beitrag online seit 06/2019)

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