Berlin-Charlottenburg

Maria Regina Martyrum

Anschrift Kirche
Heckerdamm 230-232
13627 Berlin

Überirdischer Lichtraum

Maria Regina Martyrum ist Gemeinde- und Gedenkkirche zugleich. Klarheit und Konsequenz kennzeichnen den Entwurf: Klar wirken die ausnahmslos rechtwinkligen Formen, konsequent die Geschlossenheit der Wände. Ein Rechteck wurde mit einer hohen Betonmauer umfriedet und mit einer weiteren Mauer in zwei Bereiche unterschiedlicher Breite unterteilt: Auf dem schmaleren Teil entstand ein Gemeindezentrum (teils abgerissen für das 1984 entstandene Kloster der Karmelitinnen). Den breiteren Teil dominiert der Kirchenbau, der geradezu majestätisch über einem großen, weiten Feierhof lagert. Diese Kirche wurde errichtet für das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und bezieht sich inhaltlich und in der geographischen Ausrichtung des Kirchenbaus auf die Hinrichtungsstätte Plötzensee, die unweit des Kirchenareals östlich von diesem liegt.

  • Überblick
    Ort
    Berlin-Charlottenburg

    Bistum
    Erzbistum Berlin

    Name der Kirche
    Maria Regina Martyrum

    Weihe
    1963 (5. Mai)

    Architekt
    Hans Schädel

    Künstler
    Otto Herbert Hajek, Fritz Koenig, Georg Meistermann
    Besonderheit
    Gestaffelte Anlage einer Gemeinde- und Gedenkkirche, gesteigert zum Gesamtkunstwerk.

    Nutzung
    Gedenkkirche und eigenständige Rektoratskirche auf dem Gebiet der Pfarrei St. Joseph in Nachbarschaft zum Kloster Karmel Regina Martyrum

    Standort / Städtebau
    Errichtet in einer damals im Aufbau begriffenen Siedlung, liegt der inhaltliche Orientierungspunkt für die Kirche ca. 1,5 km östlich: die Gedenkstätte Plötzensee.

  • Beschreibung

    Anlage

    Berlin-Plötzensee | Maria Regina Martyrum | Lageplan

    Berlin-Plötzensee | Maria Regina Martyrum | Lageplan

    Der Weg zur Kirche führt durch den Glockenträger, der aus der Umfassungsmauer herauszuwachsen scheint, über den Feierhof, dessen flach abfallende Terrassierung den Schritt entschleunigt. Mehr als 50 Meter sind zurückzulegen bis zum Eingang der Kirche und damit eine Strecke, auf der die fensterlose Wand der Kirche mit jedem Schritt an Monumentalität gewinnt. Ihre Oberfläche aus hell leuchtenden Carraramarmor-Kieseln überstrahlt die dunklen Innenwände der Umfassungsmauer, welche mit Basaltkieselplatten verkleidet wurden.

     

     

    Außenbau

    Berlin-Plötzensee | Maria Regina Martyrum | Außenbau | Foto: Alfred Englert

    Berlin-Plötzensee | Maria Regina Martyrum | Foto: Alfred Englert

    Der Baukörper der Kirche ist zweigeschossig, wobei die Aufmerksamkeit bei der Annäherung an das Bauwerk zunächst allein der zum Hof quergelagerten Oberkirche gilt. Denn sie allein ist sichtbar, wenn man den Hof überquert. Getragen wird, so Bischof Julius Döpfner 1963, dieser „leuchtende Kirchenschrein“ von zwei Wandscheiben innerhalb des Feierhofes und der östlichen Umfassungsmauer. Zwischen den Wandscheiben führt der Weg durch die gläserne Treppenhalle hinauf in die Oberkirche. Am oberen Treppenabsatz angekommen, steht man vor dem niedrigen Raum der Taufkapelle. Ihre Wände sind aus Stahlbeton: Die schalungsraue Struktur des Materials wurde mit einer Goldfassung nobilitiert.

     

    Innenraum

    Berlin-Plötzensee | Maria Regina Martyrum | Oberkirche zur Orgel | Foto: Alfred Englert

    Berlin-Plötzensee | Maria Regina Martyrum | Oberkirche zur Orgel | Foto: Alfred Englert

    Armierter Beton ist das Hauptmaterial dieser Kirche. Es prägt auch die Ästhetik der Oberkirche: dort als Sichtbeton, dessen Oberfläche die Abdrücke der Holzschalungen trägt. Die Wände dieses weiten, stützenfreien Kirchenraumes sind fensterlos. Die Seitenwände sind von einem abstrakt-geometrischen, geradezu plastischen Ornament überzogen. Das Licht dringt ausnahmslos auf indirekte Weise durch Lichtbänder über der eingehängten Flachdecke und zu Seiten der Stirnwände ein. Denn diese sind gleichsam ausgeschnitten und in den Raum hineingezogen – und zwar dergestalt, dass beiderseits schmale Wandteile am Ende des Kubus verbleiben und hinter den ausgeschnittenen Stirnwänden durch Glaswände mit diesen verbunden sind. Diesem so einfachen wie wirkungsvollen Kunstgriff verdankt sich nicht nur die indirekte Beleuchtung; durch ihn gewinnt die Altarwand auch etwas Schwebendes, Unbestimmtes, nämlich zwischen einer den Kirchenraum abschließenden Wand und einem Altarbild.

  • Liturgie und Raum

    In seiner Ausrichtung und Gestalt entspricht der Raum der Kirche Maria Regina Martyrum einer geosteten Wegekirche. Den Höhepunkt im Kirchenraum bildet das raumhohe Altarwandgemälde von Georg Meistermann, das die Vision des Himmlischen Jerusalem aus der Offenbarung des Johannes zeigt. „Die Lichtführung“, so formulierte es der Benediktinerpater Urban Rapp 1963 in anschaulicher Weise, „ist von so prägender Schönheit und Eigenwilligkeit, dass alle Materialien, Flächen und Körper von ihr Leben und Farbe erhalten. Das Symbol von Leben und Licht, das im Außenraum schon erfahren wurde, ist im Innern in zweifacher Weise gesteigert. Der Raum erscheint als überirdischer Lichtraum, und dann ist es ferner wieder das Licht, doch nun als Lichtfarbe, die als sieghaftes Element in dem Altarbild aufleuchtet.“

    Seit der Kirchweihe im Mai 1963, deren Datum genau in die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils fiel, stand auf dem freistehenden Hauptaltar zudem der goldglänzende Tabernakel. Er war so flach ausgeführt, dass der Priester die Messe auch über den Schrein hinweg mit Blick zur Gemeinde feiern konnte. Seit dem 50-jährigen Kirchweihjubiläum findet sich der Tabernakel nun in der Beichtkapelle unter der Orgelempore. Doch weiterhin schließt das Altarbild die Oberkirche nach Osten ab und weist zugleich über diesen Ort hinaus auf jenen hin, der in der Achse liegt und Anlass zur Errichtung dieser Gedenkkirche war: die Gedenkstätte Plötzensee rund 1,5 Kilometer östlich der Kirche.

  • Ausstattung
    Berlin-Plötzensee | Maria Regina Martyrum | Kreuzwegstation | Foto: Alexrk2, CC BY SA 3.0

    Berlin-Plötzensee | Maria Regina Martyrum | Kreuzwegstation | Foto: Alexrk2, CC BY SA 3.0

    Der Dialektik aus Licht und Dunkel, welche diese Kirche kennzeichnet, folgt auch die Kunst: Die strahlend helle Fassade trägt über dem gläsernen Eingang der Kirche eine vergoldete Bronzeplastik von Fritz Koenig: Sie zeigt das „Apokalyptische Weib“.

    Demgegenüber steht an der Ostwand des Feierhofes der dunkle, gleichfalls in Bronze gegossene Kreuzweg des Bildhauers Otto Herbert Hajek, der „in zeichenhaft verstrickten Stationen aus Dornen- und Kreuzesmotiven“ (Goetz 2003, 26) zum großen Außenaltar unterhalb der Kirche führt. Das Thema der Trauer verkörpert eine Plastik in der Unterkirche: die Pietà, die stellvertretend den Gekreuzigten beweinende Maria. Auch diese Plastik wurde, ebenso wie Taufstein und Tabernakel, von Fritz Koenig gestaltet. Die nachkriegsmoderne Ausstattung der Oberkirche ergänzte man um eine hölzerne Madonna, die wohl aus der zweiten Häfte des 13. Jahrhunderts stammt.

  • Von der Idee zum Bau

    Vier Architekten wurden 1957 zum Entwurf einer Gedenk- und Gemeindekirche aufgefordert. Mit Reinhold Hofbauer und Willy Kreuer wählte man zwei Architekten, die bereits in Berlin gebaut hatten und in dieser Stadt bekannt waren. Von Hofbauer standen zu jener Zeit St. Canisius in Charlottenburg (1954-57), die den Auftakt moderner Sakralarchitektur im Nachkriegs-Berlin bildete, und St. Judas Thaddäus in Tempelhof (1957-59). Willy Kreuer war der Architekt der Kirche St. Ansgar, die 1956/57 im Rahmen der Interbau im Hansaviertel errichtet wurde. Hinzu kamen Rudolf Schwarz und Hans Schädel. Schwarz prägte wie kein zweiter den katholischen Kirchenbau des 20. Jahrhunderts als entwerfender Architekt, Lehrer und Theoretiker. Hans Schädel wirkte bis dahin vor allem in der Diözese Würzburg.

    Über die Ziele der Wettbewerbsausschreibung, deren Text sich nicht erhalten hat, unterrichtet uns der Erläuterungsbericht von Rudolf Schwarz, der vor allem den Bezug zur Gedenkstätte Plötzensee hervorhob: „Jene ist zum Erinnerungsmal an die Macht des Bösen geworden, dem für eine Weile gestattet war, ‘alles zu beschädigen’, und besagt nichts als die Schauerlichkeit des Mysteriums der Sünde. Daneben soll ein anderes Zeichen gesetzt werden, so dass beide mit einem Blick gesehen werden können. Dieses andere Zeichen muss die christliche Antwort geben, die lautet Sieg, Überwindung des Todes und Auferstehung“ (Schwarz 1959, 73).

    Nur einige der Entwürfe wurden veröffentlicht, doch weitere haben sich in Fotografien im Berliner Diözesanarchiv erhalten: Reinhold Hofbauer und Willy Kreuer planten Kirchenbauten in gerundeten, ausgreifenden Formen, verbunden mit niedrigen Anbauten und zeichensetzend durch hohe, schlanke Glockentürme. Rudolf Schwarz legte zwei Entwürfe vor: einerseits einen hohen Rechteckbau mit einem Lichtkranz aus Betonmaßwerk, andererseits einen vierfachen Stufenberg. Ergänzt werden sollte der Kirchenbau um einen Kalvarienberg mit drei Betonkreuzen sowie eine Sakristei und ein Pfarrgebäude. Ein theologisch programmatischer Entwurf, der indes ebenfalls auf Ablehnung stieß. Realisiert wurde eine der Varianten von Hans Schädel und Friedrich Ebert. Die Entscheidung traf Bischof Julius Döpfner selbst, beraten durch den Benediktinerpater Urban Rapp OSB und den Künstler Georg Meistermann.

  • Der Architekt Hans Schädel

    Der Architekt Hans Schädel (1910-96) verantwortete nicht nur den Wiederaufbau des Würzburger Domes und etlicher Pfarrkirchen, sondern realisierte auch zahlreiche Umgestaltungen und Neubauten vor allem in der Diözese Würzburg. Hans Schädel war Diözesan- und Dombaumeister des Bistums Würzburg. Mit dem rheinischen (Glas-)Maler Georg Meistermann (1911-90) hatte Schädel bereits in der ersten Hälfte der 50er Jahre in Schweinfurt (Altarglaswand in St. Kilian) und Würzburg (Altarwand in St. Alfons) zusammengearbeitet – zwei Kirchen, in denen Schädel und Meistermann ebenso wie in Maria Regina Martyrum ein vollendetes Zusammenspiel von Bau und Bild gelang.

  • Literatur (Auswahl)
    • Christine Goetz: „Und der Tod wird nicht mehr sein“ – Topographie der Versöhnung, in: Christine Goetz/Matthias Hoffmann-Tauschwitz: Kirche Berlin Potsdam. Führer zu den Kirchen in Berlin und Potsdam, Berlin 2003, 25-30.
    • Maria Regina Martyrum. Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945, Berlin 1963.
    • Franz Pfeifer (Hg.): Gedenkkirche Maria Regina Martyrum Berlin. Zum 50. Jahrestag der Weihe der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum, herausgegeben von Franz Pfeifer, im Auftrag des Erzbistums Berlin, Lindenberg im Allgäu 2013. [Darin ein Beitrag zur Architektur der Kirche von Kerstin Wittmann-Englert, auf dem dieser Artikel basiert.]
    • Religiana.com: Maria Regina Martyrum, Berlin
    • Rudolf Schwarz, in: Kirchen von heute (architektur wettbewerbe 26), Stuttgart 1959.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert, Berlin (Beitrag online seit 09/2015)

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