Berlin-Mitte
Kapelle der Versöhnung
Bernauer Straße 4 (Einmündung Hussitenstraße)
10115 Berlin-Mitte
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Informationen
Kontakt / Öffnungszeiten Kirche Zur Webseite
DI - SO: 11.00 - 13.00 Uhr & 15.00 - 17.00 Uhr Anschrift Pfarramt Gemeindehaus Versöhnung
Bernauer Straße 111
13355 Berlin-Mitte
030 4636034
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Öffnungszeiten Pfarramt Bitte Kontakt per email!
Gottesdienstzeiten Kirche Die aktuellen Gottesdienstzeiten finden Sie online: gemeinde-versoehnung.de.
Kirchen im Osten
Zeichen der Hoffnung
1961 wurde die Bernauer Straße zum ebenso eindrücklichen wie schmerzhaften Symbol der deutschen Teilung: Mit einem Mal trennte die Berliner Mauer die Straße ihrer Länge nach, verlief die Grenze zwischen Deutschland-Ost und -West entlang der Häuserfront ihrer Südseite. Für viele unvergessen sind die Bilder von Menschen, die aus diesen Häusern auf den in West-Berlin gelegenen Bürgersteig flüchten wollten. Etliche sprangen in den Tod. Dann wurden die Fenster vermauert, später die Häuser abgebrochen und ein massives Sperrsystem errichtet. Seit dem Mauerfall am 9. November 1989 ist die Bernauer Straße zum wichtigen Erinnerungsort geworden. Dazu gehört auch die 2000 hier im einstigen Sperrstreifen eingeweihte „Kapelle der Versöhnung“. Der beeindruckend schlichte, von 8 Meter hohen Holzlamellen umfangene Rundbau lädt zur Begegnung ein …
- ÜberblickOrt
Berlin-Mitte
Landeskirche
Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Name der Kirche
Kapelle der Versöhnung
Einweihung
2000 (9. November)
Architekten
Rudolf Reitermann, Peter Sassenroth
Künstler
Chavarsh Khachatryan, Martin RauchBesonderheit
An historisch bedeutsamem Ort entstand der erste große öffentliche Stampflehm-Neubau in Deutschland seit über 150 Jahren. Heute steht die "Kapelle der Versöhnung" mit beeindruckender Einfachheit und Bescheidenheit offen für Mahnung und aktive Begegnung.
Nutzung
Mahn- und Erinnerungsort sowie Gemeindemittelpunkt der Evangelischen Versöhnungsgemeinde in Berlin-Wedding/Mitte
Standort / Städtebau
Die ca. 9 Meter hohe Kapelle wurde frei im ehemaligen Mauerstreifen an der hier leicht abfallenden, gut einsehbaren Bernauer Straße errichtet. Sie ist auch Teil der sie umgebenden Gedenkstätte Berliner Mauer. - Beschreibung
Grundriss
Der Grundriss des Kapellenbaus zeigt eine ovalisierende Innenform aus Stampflehm, in die zwei Rechtecke eingeschnitten sind: eine seitliche Altarnische sowie der Eingangsbereich mit Windfang und Aufgang zur Orgelempore. Diese innere Rundform bildet den Kern der Kapelle, der nach außen von einer – im Grundriss nahezu eiförmigen – zweiten Linie eingefasst wird. Im Aufbau eine leichte Holzkonstruktion, zeichnet sie die Außenhülle des Kapellenbaus. Zwischen innerer und äußerer Linie wurde ein überdachter durchlüfteter Umgang ausgebildet, der gleichermaßen als Foyer und Gemeinderaum dient. Errichtet im Baufeld seiner 1985 gesprengten Vorgängerkirche, umfasst der Kapellenbau aber kaum mehr als deren einstigen Chorbereich. Das weitere Schiff ist durch eine Kiesschüttung im Außengelände markiert.
Außenbau
Äußerlich weist der Rundbau der „Kapelle der Versöhnung“ eine sehr schlichte Fassade auf. So erstellte man die halboffen ausgebildete Außenhülle als lichtdurchlässige Holzlamellen-Konstruktion aus 8 Meter langen, unbehandelten Douglasienbrettern. Als einziger Hinweis auf die Funktion wurde beim Eingang, zur Nordseite hin, ein großes Kreuz eingebeizt. Nur wenig überragt wird die Außenfassade vom flachen kupferbeschlagenen Dachaufbau, der den Gesamtbau überspannt. Insgesamt erreicht das Gebäude eine Höhe von rund 9 und eine Breite von bis zu 18,5 Metern. Im Eingangsbereich des Grundstücks entstand ein freistehendes hölzernes Läutegerüst, das die geretteten Glocken des Vorgängerbaus aufgenommen hat. Sie werden nun von Hand geläutet.
Innenraum
Bis auf die hölzerne Deckenkonstruktion zeigt sich der ovale Innenraum komplett und unverkleidet in Lehm erstellt. So errichtete man die ihn umfassende, 60 cm dicke und rund 7,20 m hohe Wand vollständig in Stampflehm. Verarbeitet unter Federführung des Lehmbau-Spezialisten Martin Rauch, wurde dem Baumaterial Ziegelsplitt der zerstörten Vorgängerkirche beigemengt. In Stampflehm ausgebildet wurde auch der Fußboden, während man die Raum-Nischen mit Lehmbauplatten und Lehmputz entwickelte. Belichtet wird der Raum wesentlich von oben durch eine verglaste Öffnung im Dach sowie durch ein Fenster an der Westseite im Bereich der Orgelempore. Dabei betont das einfallende Licht die körnige Oberfläche der Stampflehmwand und zeichnet sie in grau bis grünen, gelb- und bräunlichen Farbschattierungen.
- Liturgie und Raum
Kernpunkt der liturgischen Ordnung ist der neue freistehende Altar-Block, der streng in der Ostung platziert wurde. Dieser Ost-West-Achse steht das – in einer Nische aufgestellte – alte Altarretabel entgegen. Es wurde aus der Vorgängerkirche gerettet und nun nahe deren einstiger, städtebaulich begründeter Mittelachse verortet. Daraus ergibt sich eine gestalterische wie räumliche Spannung, wie sie auch in der Grundrissform ablesbar ist. Der Innenbau, der vom Kreis als Versammlungsform ausgeht und aus diesem heraus entwickelt wurde, erhielt eine flexible Bestuhlung.
Der karge Raum besticht vor allem im Zusammenspiel mit seiner Nutzung: So ist die geradezu archaisch anmutende Anlage zuerst Mahn- und Erinnerungsort. Lebendig wird sie – bewusst auf „Sakral“ und nicht auf Mehrzweck-Nutzung ausgelegt – bei vielfältig hier stattfindenden Gottesdiensten und Andachten. Besonders eindrücklich ist das wochentägliche „Gedenken an die Todesopfer der Berliner Mauer“, bei dem je zur Mittagszeit an Menschen erinnert wird, die an dieser Grenze ihr Leben verloren. So ist die Kapelle zum Gedenk- wie Begegnungsort geworden: Seit der Einweihung kamen über 2 Millionen Menschen hierher. Sie nehmen den so bescheidenen Bau, seine Geschichte und sein Umfeld ebenso wahr wie die dortige Versöhnungsarbeit der Gemeinde.
- Ausstattung
Wie der Innenbau wurde auch der Altar mit aufsetzbarer Mensa aus Eiche nach einem Entwurf von Martin Rauch in Stampflehm ausgeführt. Unter den Altar legte man die sandsteinerne Mensa der zerstörten Vorgängerkirche aus, daneben fand ein Vortragekreuz des armenischen Künstlers Chavarsh Khachatryan seinen Ort. Weiter wurden Reste der Ausstattung aus der alten Versöhnungskirche aufgenommen: Dazu gehört besonders der gerettete geschnitzte Altaraufbau (1894), der in einer hohen Wandnische aufgestellt wurde. Ein Fenster im Boden der – als Lichtschacht entwickelten – Raumausbuchtung lässt zudem den Kellereingang der früheren Kirche erkennen.
Die Bestuhlung bietet gut 80 Personen Platz, damit nimmt der Kapellenbau auch bewusst auf sinkende Gemeindegliederzahlen und Finanzmittel Rücksicht. Sein Baustoff Lehm ist ebenso ökologisch verträglich wie der Verzicht auf eine Heizungsanlage. Dabei war dessen Entwicklung und Verarbeitung eine große Herausforderung, für die der Lehmbauer Martin Rauch (Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, Schlins/Österreich) die Federführung übernahm. Dieses außergewöhnliche Projekt, der erste große öffentliche Stampflehm-Neubau in Deutschland seit über 150 Jahren, wurde durch den Arbeitseinsatz junger Freiwilliger aus 14 europäischen Ländern unterstützt.
- Von der Idee zum Bau
Die alte Versöhnungskirche, 1894 eingeweiht und nach Plänen von Gotthilf Ludwig Möckel errichtet, wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und bis 1950 wiederhergestellt. Doch stand sie nun im Ostsektor, während das Gemeindegebiet größtenteils zum Westteil der Stadt gehörte. Mit dem Mauerbau geriet die Kirche in die – nachfolgend immer weiter ausgebauten – Sperranlagen und wurde unzugänglich. Schließlich kam es im Januar 1985 zu ihrer weltweit beachteten Sprengung und nahezu vollständigen Beseitigung.
Kaum fünf Jahre später fiel mit der „Wende“ auch die Mauer in der Bernauer Straße. Indes blieb ein Teil der einstigen Sperranlagen hier erhalten und wurde Gedenkstätte. Die Versöhnungsgemeinde erhielt ihr ehemaliges Kirchengrundstück zurück – mit der Auflage, es wieder gottesdienstlich zu nutzen. So entstand im Gefolge eines Ideenwettbewerbs nach Plänen der jungen Architekten Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth 1999/2000 ein Kapellenbau. Dieser soll nicht nur an die Geschichte gemahnen und ein Zeichen zur Versöhnung setzen, sondern auch als Gemeindemittelpunkt dienen: Denn die Gemeinde stellte ihr 1965 im Westteil der Stadt, schräg gegenüber der alten Kirche errichtetes Gemeindezentrum als Dokumentationszentrum zur Mauergeschichte zur Verfügung. Das so entstandene Gedenk-Ensemble bildet seitdem die Grundlage einer Versöhnungsarbeit, der sich die Gemeinde verschrieben hat.
- Die Architekten Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth
Dipl.-Ing. Rudolf Reitermann wurde 1965 in Nürnberg geboren, studierte Architektur an der TU Stuttgart und an der Hochschule der Künste Berlin. Ab 1991 betrieb er ein eigenes Büro in Berlin, ab 1994 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin. Prof. Dipl.-Ing. Peter Sassenroth wurde 1963 in Paderborn geboren, studierte Architektur an der TU Berlin und am Polytechnic of Central London. 1987 arbeitete er mit im Büro von Ian Ritchie, London, ab 1989 hatte er ein eigenes Büro, 1996-98 war er Professor an der FH Kiel.
1995 gründeten Reitermann und Sassenroth ein gemeinsames Büro in Berlin – und gewannen 1996 den Ideenwettbewerb um die „Kapelle der Versöhnung“. Schwierige Diskussionen gab es dann aber um deren Gestaltwerdung – ursprünglich sollte der Bau in Beton und Glas entstehen. Das lehnte die Gemeinde ab und kam zum Pionierbau aus Lehm und Holz, über den Marcus Nitschke schreibt: „Ein Zeichen der Hoffnung, das sich mutig dem Zitat entzieht und eine ganz eigene Form gegen die Berliner Architektur setzt.“
- Literatur (Auswahl)
- Internetpräsenz der Gemeinde: www.versoehnungskapelle.de und www.kapelle-versoehnung.de (21.12.2015).
- Matthias Ludwig/Reinhard Mawick (Hg.): Gottes neue Häuser. Kirchenbau des 21. Jahrhunderts in Deutschland, Frankfurt am Main 2007.
- Marcus Nitschke: Ort mit Geschichte. Die Versöhnungskapelle auf dem Berliner Mauerstreifen […], in: architektur, Fachmagazin 7, 2001, 39-43.
- Martin Rauch/Otto Kapfinger (Hg.): „rammed earth“ – Lehm und Architektur, Basel/Boston/Berlin 2001.
- Manfred Richter: Neubau einer Kapelle der Versöhnung im ehemaligen Mauerstreifen/Berlin, Bernauer Straße, in: Kunst und Kirche 63 (2000,1), 44-46.
- Rudolf Stegers: Eine Geschichte hinter Lamellen. Kapelle der Versöhnung in Berlin, Deutschland, in: Architektur Aktuell 3, 2001, 66-75.
- Wolfgang Jean Stock: Architekturführer. Architectural Guide. Christliche Sakralbauten in Europa seit 1950. Christian Sacred Buildings in Europe since 1950, München (u. a.) 2004.
- Christian Welsbacher: Abstraktion und Einfühlung. Kapelle der Versöhnung an der Bernauer Straße, Berlin […], in: Deutsche Bauzeitung 135, 2001, 11, 70-75.
- Thomas Wieckhorst: Weicher Kern – luftige Hülle. Stampflehmbau: Die Kapelle der Versöhnung in Berlin, in: Bauhandwerk 11, 2003, 20-29.
Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.