Cottbus

St. Maria Friedenskönigin

Anschrift Kirche
Adolph-Kolping-Straße 18
03046 Cottbus

Bestechende Provokation

Der Anblick von St. Maria Friedenskönigin in Cottbus, einem Klinkerbau mit mächtiger Doppelturmfassade inmitten gründerzeitlicher Wohnbebauung, lässt von außen einen „klassischen“ Kirchenraum erwarten. Doch das, was man im Inneren vorfindet, überrascht nicht nur, sondern „besticht“ im wahren Wortsinn: eine stilisierte Dornenkrone mit großen dreidimensionalen Spitzen, die von allen Seiten auf Priester und Gemeinde gleichermaßen gerichtet sind. Selbst der Pfarrer, der in den 1970er Jahren diese Ausstattung zu verantworten hatte, war hin- und hergerissen zwischen glühender Faszination und ernsten Zweifeln: Sollte er der Gemeinde diese Provokation, diesen Angriff auf eine vermeintlich heile Welt jeden Sonntag vor Augen führen? Der Bildhauer, der den Umgestaltungsideen letztlich ihre raumgebende Gestalt verliehen hat, wollte jedoch auch keine bequeme, noch weniger eine unumstrittene Kunst schaffen. Seine Werke sollten „geistige Zeichen“ setzen.

  • Überblick
    Ort
    Cottbus

    Bistum
    Bistum Görlitz

    Name der Kirche
    St. Maria Friedenskönigin

    Weihe
    1934 (7. Oktober), 1979 (6. Oktober)

    Architekten
    Anton Mokroß, Wolfram Starke, Thomas Woskowski

    Künstler
    Rudolf Brückner-Fuhlrott, Felix Hertelt, Friedrich Press, Manfred Vollmert, Helge Warme
    Besonderheit
    Eine klassische Wegkirche wurde quergerichtet, die Gemeinde um den Altar versammelt und der Raum nach einem anspruchsvollen ikonografischen Programm neu ausgestattet.

    Nutzung
    Propstei- und Pfarrkirche

    Standort / Städtebau
    In ihrer Höhe die Umgebung dominierend, bildet die Kirche auf einem Eckgrundstück mit dem Pfarrhaus ein Ensemble und vor sich einen kleinen Platz aus.

  • Beschreibung

    Außenbau und Grundriss

    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Außenbau | Foto: Tourist Cottbus, CC BY SA 3.0

    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Foto: Tourist Cottbus, CC BY SA 3.0

    Der Stahlskelettbau aus den 1930er Jahren hat einen langrechteckigen dreischiffigen Grundriss mit Apsis im Norden und vorgestellter Doppelturmfassade im Süden. Städtebaulich sehr gut wahrnehmbar ist St. Marien u. a. durch die mächtige geschlossene Zweiturmfassade mit einem auf der Verbindungsbrücke aufgesetzten Strahlenkreuz. Neben den roten Klinkern wird der Außenbau durch die klare Formensprache des Neuen Bauens geprägt. Die Turmfassade birgt den Eingangsbereich mit drei Portalen und Vordach. Darüber wurde eine Rundbogennische mit einer überlebensgroßen Figur angeordnet: der im kühnen Schwung auferstehende Christus.

     

    Innenraum

    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Innenraum | Foto: Raphael Schmidt

    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Foto: Raphael Schmidt

    Ursprünglich war das Innere als traditionelle Wegkirche auf den eingeschnürten, deutlich erhöhten Altarraum ausgerichtet, den ein Hochaltar mit einer überlebensgroßen Marienfigur beherrschte. Beim Umbau der 1970er Jahre wurde der basilikale Innenraum durch mehrere Zwischenwände geteilt, sodass annähernd ein Zentralraum entstand. Zusätzlich änderte man die Ausrichtung des Haupt-Kirchenraums.

  • Liturgie und Raum
    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Firmung | Foto: Raphael Schmidt

    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Firmung | Foto: Raphael Schmidt

    Die Umgestaltung der 1970er Jahre hat das ursprüngliche liturgische Konzept der Kirche vollständig gewandelt. Eine Trennwand im Eingangsbereich, die nur schmale Einblicke in den Hauptraum ermöglicht, dient nun als Sinnbild für die Mauern des heiligen Jerusalem mit den drei Toren gegen Mittag (Offb 21,12): Die Erwartungshaltung der Eintretenden wird gesteigert, denn nur im Weitergehen wird der „Tempel Gottes“ erreichbar. In diesem neugestalteten Raum, eingefasst von einer überdimensionalen Dornenkrone, versammelt sich die Gemeinde nun von drei Seiten um Christus im Altar.

    Der Altar steht auf einer – die biblische Straße für Jahwe versinnbildlichenden – Querachse, die teils als erhöhtes Stufenpodest ausgebildet ist. Weiterhin sind dort Ambo, Vorstehersitz und Tabernakel angeordnet. Letzterer ist aus dem Mittelschiff (und damit aus der Dornenkrone) herausgerückt, sodass der Bereich um den Tabernakel als individueller Andachtsraum erfahren werden kann. Ebenfalls auf der Achse, aber inmitten der Gemeinde, hat man ein Triumphkreuz aufgestellt – ein Zeichen für das Panier, Banner oder Zeichen, das Gott aufwirft, um sein Volk zu versammeln (Jes 11,12). Der ursprünglich erhöhte Altarraum wurde im Jahr 2015 nach einem Entwurf des Architekten Thomas Woskowski zur Josefskapelle umgestaltet. Dieser kleine Kapellenraum mit nur 50 m² Fläche, jedoch einer erstaunlichen Höhe von 11 m, wurde durch den Künstler Helge Warme mit einem eingefügten künstlerisch gestalteten Fenster und einer Wandmalerei aufgewertet. In der Kapelle werden Andachten und an Sonntagen Kindergottesdienste durchgeführt.

  • Ausstattung
    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Josefskapelle | Foto: Ingo Kuzio

    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Josefskapelle | Foto: Ingo Kuzio

    An der Fassade der Kirche wurde 1963 die monumentale Plastik des auferstehenden Christus angebracht, die man beim Weißenfelser Künstler Rudolf Brückner-Fuhlrott (1908-84) in Auftrag gegeben hatte.

    Mit der Umgestaltung der 1970er Jahren wollte „Baupfarrer“ Gerold Schneider (Leiter der Pfarrei von 1969-88), der viele Jahre aktiv am Kirchenbau in der DDR mitwirkte, gleichzeitig ein ambitioniertes ikonografisches Programm verwirklichen. Von ihm stammen die theologischen Ideen. Die Entwürfe und Gestaltungskonzepte kamen vom Architekten Wolfram Starke und vom bildenden Künstler Friedrich Press. Letzterer erstellte die Gipsmodelle, Starke zeichnete detaillierte Werkpläne und eine Cottbuser Privattischlerei fertigte die Dornenkrone. Deren rot-braune Gestaltung wurde auf einem violetten Hintergrund angebracht. Die Krone verweist zum einen auf das Leid, zum anderen auf die Siegeskrone der Kirche. Die übrigen Ausstattungsstücke wurden teils in der Tischlerei, teils von Press gearbeitet. Der hölzerne Altar steht für die „Wurzel Jesse“ (Jes 7,14 und Jes 11,1 f.): Die quadratische, weiß gestrichene Mensa liegt auf einem Stamm, der aus dem – nur durch zwei Augenschlitze erahnbaren – Isai herauswächst.

    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Kreuz: Friedrich Press | Foto: Raphael Schmidt

    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Kreuz | Foto: Raphael Schmidt

    Schlicht und funktional ist der Ambo, entworfen als Rednerpult mit schräger Platte. Den Tabernakel bildet eine interpretierende Darstellung des Morgensterns (1 Petr 1,19; Offb 22,16). Seine zehn stumpfen, hölzernen Sternenzacken können im Zusammenhang mit der Dornenkrone durchaus „als bedrohlich empfunden werden“, obwohl die „gestalterische Intention […] ein Bild der Hoffnung“ sei (Schaubs 2008, 142). Seitlich vom Tabernakel befindet sich der Taufort, der dem Altar in der Gestaltung ähnelt.

    Das weiße und abstrahierte Triumphkreuz – einzig die hervortretenden Augen verweisen auf einen Corpus – steht als Gegenstück zum Altar inmitten der Gemeinde und ragt deutlich über die Dornenkrone hinaus. Im künstlerischen Werk von Press ist das Kreuz mit V-förmigem senkrechtem Balken ein wichtiges Auferstehungszeichen, das er wiederholt aufgegriffen hat. Alle Ausstattungsstücke der 1970er Jahre wurden aus Holz gefertigt, das Schneider durch freundschaftliche Beziehungen zur Interessengemeinschaft „kircheneigene Land- und Forstwirtschaft“ günstig zur Verfügung stand. Schneider lehnte es ab, auch eine Marienskulptur von Friedrich Press anfertigen zu lassen. Auch die überlebensgroße Marienstatue des Cottbuser Holzbildhauers Felix Hertelt aus der Bauzeit der Kirche von 1934 wurde im Rahmen der Umbaumaßnahmen von 1970 aus dem Kirchenraum verbannt. Im Zusammenhang mit dem Einbau einer neuen Orgel im Jahr 2014 konnte diese für die Gemeindemitglieder wichtige und namensgebende Figur der Pfarrkirche – St. Maria Friedenskönigin – wieder in den Kirchenraum eingefügt werden.

  • Von der Idee zum Bau
    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Apsis | Foto: Hans Bindewald

    Cottbus | St. Maria Himmelskönigin | Apsis | Foto: Hans Bindewald

    In den Jahren 1932-34 gestaltete der Breslauer Diözesanbaurat Anton Mokroß (1886-1957) die Cottbuser Marienkirche. Den Zweiten Weltkrieg überstand der Sakralbau mit nur geringen Schäden. Entscheidend für den Umbau der 1970er Jahre waren nicht in erster Linie liturgische Belange, sondern dringend benötigte Räume für den Religionsunterricht, die trotz einer in Aussicht gestellten anteiligen Devisen-Finanzierung nicht als separates Gemeindehaus auf dem Kirchengrundstück gebaut werden konnten. Deshalb schrieb die Gemeinde einen beschränkten Architekturwettbewerb aus. Die Zusammenarbeit zwischen dem Architekten Wolfram Starke und dem bildenden Künstler Friedrich Press ging daraus als Siegerprojekt hervor.

    Neben einer guten Gestaltung war es der Gemeinde wichtig, dass kein Sitzplatz verloren ginge und sie selbst die Bauarbeiten in Feierabendtätigkeit übernehmen könne. Die Verhandlungen mit den DDR-Behörden dauerten länger als ein Jahr. Im Juli 1976 begann schließlich der Um- und Ausbau der Kirche, die während der gesamten Bauzeit genutzt wurde. Am 6. Oktober 1979 fand die Weihe der umgestalteten Marienkirche statt, 1980-82 wurden die Türme umgebaut – diesmal nicht durch Starke und Press. Auf fünf Geschossen entstanden sechs neue Räume mit einer zusätzlichen Nutzfläche von insgesamt 220 m². Mit dem Erwerb der Jehmlich-Orgel 2014 setzte eine umfangreiche Neugestaltung des Raums durch den Cottbuser Architekten Thomas Woskowski ein. In diesem Zeitraum erarbeitete Helge Warme für die neuen Obergadenfenster einen zurückhaltenden Farbentwurf, ebenso konnte der bestehende Seitenschiff-Fensterzyklus mit Motiven der lauretanischen Litanei um sechs kleinere Fenstergestaltungen in Richtung der Josefkapelle ergänzt werden. 2015 wurde noch ein Kreuzweg des Metallgestalters Manfred Vollmert eingefügt.

  • Der Architekt Wolfram Starke und der bildende Künstler Friedrich Press

    Wolfram Starke (geb. 1932) hatte in Dresden studiert und danach zunächst in Berlin und Magdeburg gearbeitet. Anschließend war er in Dresden als Architekt bei Kurt Nowotny tätig. Dieser stellte den Kontakt zu Friedrich Press her. „Starke projektierte freischaffend und inoffiziell an Kirchenum- und Neugestaltungen mit. Er hatte sich dafür eine Genehmigung zur Planung öffentlicher Bauten geben lassen. Trotzdem schloss er selbst keine Verträge mit den Kirchengemeinden ab und achtete stets auf Diskretion, um das drohende Berufsverbot zu umgehen.“ (Schaubs 2008, 144)

    Friedrich Press (1904-90) war ausgebildeter Holz- und Steinbildhauer, hatte in Dortmund, Berlin und Dresden studiert, und ab 1935 in der Elbestadt gewohnt. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte er sich hauptsächlich mit sakraler Kunst und Kirchenraumgestaltung. Press lebte und arbeitete in der DDR, aber seine Werke waren weit über deren Grenzen hinaus bekannt. Im Jahre 1987, auf der X. Kunstausstellung der DDR in Dresden, wurde in der Abteilung „Architekturbezogene Kunst“ ein Foto der Cottbuser Altarraumgestaltung gezeigt. In der Regel fertigte Friedrich Press bis ins hohe Alter seine kirchlichen Ausstattungsstücke auch handwerklich selbst an. Cottbus bildet insofern eine Ausnahme: Hier beschränkte er sich darauf, Details auszuarbeiten sowie Oberflächenbehandlung und Farbauftrag zu bestimmen.

  • Literatur (Auswahl)
    • Jürgen Lenssen/Walter Zahner: Friedrich Press, Regensburg 2010, 50 f.
    • Verena Schädler: Katholischer Sakralbau in der SBZ und in der DDR, Regensburg 2013, 233-238.
    • Uta Schaubs: St. Maria Friedenskönigin in Cottbus. Maria und die Gemeinde auf der Straße Jahwe (1975-1982), in: Friedrich Press 1904-1990. Kirchenräume in Brandenburg, hg. v. Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum, Berlin 2008, 131-146.
    • Gerold Schneider: St. Maria Friedenskönigin zu Cottbus, Informationsblatt zur Kirche, Cottbus 1987.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Verena Schädler, Weißenburg (online seit 10/2015 - aktualisiert 10/2019)