Essen-Frohnhausen

St. Antonius

Anschrift Kirche
Kölner Straße 37
45145 Essen-Frohnhausen

Kristalline Ordnung und lichter Zufall

Für St. Antonius fand der Architekt Rudolf Schwarz 1959 zu einer geometrischen und, wie er es nannte, „großen und objektiven Ordnung“. Diese bezog er zunächst auf die Ordnung des Baus, doch darüber hinaus auch auf die Ordnung der Welt. An der ausgesparten Ecke einer Essener Straßenkreuzung staffelte Schwarz anhand eines Koordinatensystems positive und negative Kuben. Wenn er diesen Bau als „begehbaren Kristall“ bezeichnete, zielte er auf ein „Bild“ von der Welt, die Geschichte und Ordnung schon vor dem Menschen hatte. In Essen führte Schwarz das Prinzip von Struktur und Füllung – Eisenbetonskelett mit Ausfachung aus Glas, Natur- oder Backstein u. a. – konsequenter vor als bei jeder anderen seiner neu errichteten Kirchen. Bis auf die minimal geneigten Dächer wurden alle Raumgrenzen aus einem Quadratraster entwickelt: Betonrahmen von 25 Zentimeter und Füllungen von je 150 Zentimeter Breite. Damit hat Schwarz die modulare Rationalität, wie sie die Renaissance als Ausdruck göttlicher Vollkommenheit diskutierte, in die kompromisslose Nachkriegsmoderne hinein aktualisiert.

  • Überblick
    Ort
    Essen-Frohnhausen

    Bistum
    Bistum Essen

    Name der Kirche
    St. Antonius

    Weihe
    1959 (31. Oktober)

    Architekten
    Maria Schwarz, Rudolf Schwarz

    Künstler
    Mirko Stefan Elfert, Egino Weinert
    Besonderheit
    Rudolf Schwarz stellte dem konsequent angewandten Quadratischen Schematismus 1959 eine betont unsystematische Verteilung der ausschließlich abstrakt gestalteten Fenster gegenüber.

    Nutzung
    Pfarrkirche

    Standort / Städtebau
    Die 1956-59 anstelle eines kriegszerstörten neugotischen Vorgängerbaus errichtete Kirche St. Antonius steht in Essen-Frohnhausen in einem vor und nach 1900 errichteten Quartier mit Mietshäusern in Blockrandbebauung.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Essen-Fronhausen | St. Antonius | Grundriss

    Essen-Fronhausen | St. Antonius | Grundriss

    Dem quadratischen Grundriss ist eine T-förmige Raumfigur eingeschrieben. Als Schnittstelle von Lang- und Querhaus wurde so eine Vierung mit einem (fast) mittigen Altar möglich. Die von einer flachen Wand hinterfangene Vierung enthält zugleich das Ausgangsquadrat der gesamten Raumordnung, wie es auch den Quadratischen Schematismus romanischer Basiliken bestimmt. Drei mal drei Quadrate in Vierungsgröße füllen das Gesamtquadrat aus. Jedes der neun Quadrate enthält wiederum sechs mal sechs Quadrate des Grundmoduls. Das Querhaus besteht aus drei Einheiten (eine Vierung und zwei Querarme), die drei Schiffe des Langhauses aus jeweils zwei. Dabei bilden die Seitenschiffe eigenständige, nur durch flache Oberlichtlaternen erhellte liturgische Orte aus: im linken Seitenschiff für die Taufe und für die Marienverehrung jeweils mit einer Einheit, im rechten Seitenschiff ursprünglich drei halbe Raumeinheiten für die Beichte und eine halbe für das Eingangsvestibül. Dass das ohnehin kurze Langhaus eher als Teil eines zentrierten Raums erfahren wird, liegt auch an der Wegführung. Der Besucher betritt die Kirche über zwei unscheinbare Eingänge an den Seitenschiffen und gelangt erst über eine mehrfach geknickte Wegführung in den zentralen Teil des Mittelschiffs. Letzteres wird durch den Raum für Orgel und Chorpodest zusätzlich vermindert.

     

    Außenbau

    Essen-Frohnhausen | St. Antonius | Außenbau | Foto: Jürgen Wiener

    Essen-Frohnhausen | St. Antonius | Foto: Jürgen Wiener

    Statt eines sich gegen die Straße verschließenden Chor- und Querhausriegels an der Ostseite stuft sich der 33 Meter lange und halb so hohe Bau zur Straßenkreuzung hin ab. Gewestet öffnet er sich für die Gemeinde dort, wo er am schnellsten erreichbar ist. Nach außen wird das „Gitter- oder Riegelwerk“ als dreidimensionaler „Raumwürfel“ sichtbar gemacht. Dieses ist mit Backsteinen oder mit insgesamt 112 künstlerisch gestalteten, unregelmäßig verteilten und in vier Viertel unterteilten Fenstern ausgefacht. Schwarz führte auch darin die Material- und Konstruktionsehrlichkeit des Brutalismus vor, dass außen schon die Innenraumstruktur ablesbar ist. Gegenüber dem hohen Mittelschiff und dem anschließenden Querhaus – beide zusammen bilden die T-Form – sind die Seitenschiffwände (zwei mal zwölf Quadrate) in einer für Schwarz typischen Weise niedrig und fensterlos. Diese Zone wird vom Obergaden, der aus zwölf mal sechs Quadraten besteht, durch einen höheren Träger abgegrenzt.

     

    Innenraum

    Essen-Frohnhausen | St. Antonius | Innenraum | Foto: Jürgen Wiener

    Essen-Frohnhausen | St. Antonius | Foto: Jürgen Wiener

    Typologisch handelt es sich um eine Basilika mit Querhaus, doch erinnert die vom „Gitterwerk“ bestimmte Raumwirkung kaum an historische Basiliken. Hinsichtlich Form, Licht und Funktion beherrscht die Vierung den Gesamtraum. Sie ist ein lichter Raumkubus, der oberhalb der beiden unteren Quadratreihen aus einem Würfel besteht, dessen Flächen die Größe von sechs mal sechs Quadraten haben. In der Raumhierarchie folgt das bebankte Querhaus noch vor dem Mittelschiff, dem die niedrigen und dunklen Seitenschiffe angelagert sind. Sie sorgen dafür, dass es auch im unteren Teil des Mittelschiffs dunkler ist. Der Obergaden ist uneinheitlich, denn die Anzahl der informell angeordneten Fenster nimmt zur Vierung hin zu. An den Querhauswänden nehmen die Fenster ohne ein erkennbares Muster von der Ost- über die Stirn- zu den Westseiten ab. Scheinbar willkürlich verteilt, unterlaufen die Fenster die modulare Rationalität. Und doch garantiert ihre gesteuert zufällige Verteilung, dass in der Vierung der Raum am hellsten ist, während die Abschlusswand sparsam durchfenstert bleibt. Aus der Lichtkonzeption erklärt sich auch die zur Mitte und zum lichten Altarbereich hin ansteigende Seitenschiffdecke.

    Die Lichtidee besteht Schwarz zufolge in der „Herabkunft des Lichtes zur Erde“. Während es im Langhaus noch ungreifbar über dem Dunklen schwebe, senke es sich im Querhaus ganz in die Dunkelheit der Welt hinab. Die Lichtfülle der Vierung verdankt sich dem westlichen Langhaus vor allem den (von hier aus nicht zu sehenden) Fenstern an den Ost- und Stirnseiten des Querhauses. In beiden Fällen bilden sie unregelmäßige Cluster mit einer gewissen Diagonaltendenz. Diese wird in der Vierung in die Waagrechte gebracht, indem die Betonbalkendecke mit einem Diagonalkreuz verspannt wird und damit sowohl ein Ziborium als auch ein Kreuz anklingt. An der Altarwand darunter wird die weitgehend mit Backstein ausgefachte Rasterstruktur am sinnfälligsten, denn es drängt sich hier das Kreuzmuster auf. Zugleich wird so die Konzentration auf die Liturgie nicht durch Gegenlicht irritiert.

  • Liturgie und Raum
    Essen-Frohnhausen | St. Antonius | Taufbereich | Foto: Jürgen Wiener

    Essen-Frohnhausen | St. Antonius | Taufbereich | Foto: Jürgen Wiener

    Seit den mittleren 1930er Jahren zeigte Schwarz eine besondere Vorliebe für den T-förmigen Grundriss. In seinem Buch „Vom Bau der Kirche“ erläuterte er, dass dieses Modell einen doppelten Vorteil habe: Die Gemeinde kann den Altar von drei Seiten umgeben (und sich über die Seitenschiffe hinweg gegenseitig sehen) oder mit einer kleineren Gruppe in einer der beiden Querarme Platz nehmen. Voraussetzung ist ein freistehender kubischer Altar, der die Messopferfeier von allen vier Seiten erlaubt. Sowohl der Gedanke des Wegs wie der Zentrierung um den Altar finden sich in der Essener Kirche: Sie liest sich als Kombination der von Schwarz entwickelten Modelle „Heilige Fahrt“ und „Heiliger Aufbruch“ im „offenen Ring“ mit dem „Heiligen Aufbruch“ im „lichten Kelch“.

    Diese Verbindung wird in Essen durch das „Bild“ des „begehbaren Kristalls“ konkretisiert. Dieses nutzte Schwarz häufiger, es wird aber in Essen wegen des Raumgitters besonders anschaulich. Für ihn war ein Kristall durch die Natur geometrisch geordnet und zugleich transparent und licht. Schöpfung erweise sich in Schichtungen und forme so elementare Ordnung. Daher werde die geschichtete Ordnung von Schöpfung und Welt im Kristall sinnfällig. Folglich soll der Bau auch „die kristallklare Ordnung der christlichen Welt“ spiegeln. Zugleich legte Schwarz der aus der Drei-, Sechs- und Zwölfzahl entwickelten Gittergeometrie auch eine christliche Zahlensymbolik zugrunde (Trinität, Sechstagewerk der Schöpfung, Apostel). Sie unterteilen den Bau zudem in eigenständige Unterräume, die für die Stätten einer Heiligen Stadt stehen, welche die Kirche als Ganzes versinnbildlicht.

  • Ausstattung
    Essen-Frohnhausen | St. Antonius | Marienfigur | Foto: Jürgen Wiener

    Essen-Frohnhausen | St. Antonius | Marienfigur | Foto: Jürgen Wiener

    Die weitgehend in Marmor ausgeführte liturgische Ausstattung (Altar, Ambo, Tabernakelpodest und Taufstelle) sowie die als „Teppiche“ bezeichneten Fußbodenmuster aus Buntmarmoren entwarf Maria Schwarz. Rudolf Schwarz erinnerte selbst an die romanischen Marmorinkrustationen etwa von S. Miniato al Monte in Florenz. Das hier verortete Tabernakel stammt von der bis 1969 bestehenden Aachener Goldschmiede-Werkstatt Schwerdt und Förster – Fritz Schwerdt hatte an der Aachener Kunstgewerbeschule unter Schwarz studiert und bereits in den 1930er Jahren mit ihm zusammengearbeitet. An der nördlichen Seitenschiffwand findet sich von Egino Weinert ein Tabernakel, der aus St. Mariä Geburt nach St. Antonius versetzt wurde und heute das Evangeliar birgt. Die Marienstatue (1957) wurde aus der Kirche St. Augustinus, die seit 2008 nicht mehr liturgisch genutzt wird, hierher gebracht. Die Glasfenster mit abstrakten Farbfeldern entwarfen Studenten von Georg Meistermann an der Düsseldorfer Akademie. 2015 wurden an der Altarwand drei Bilder angebracht, für die der Mendener Maler Mirko Stefan Elfert Pigmente aus dem Ruß verbrannter Kruzifixe einsetzte.

  • Von der Idee zum Bau
    Essen-Frohnhausen | Berliner Straße mit dem Vorgängerbau um 1917 | Foto: historische Postkarte

    Essen-Frohnhausen | Berliner Straße mit dem Vorgängerbau um 1917 | Foto: historische Postkarte

    Die 1892 geweihte neugotische Backsteinkirche St. Antonius entstand in einem gründerzeitlichen Arbeiterviertel im Essener Nordwesten. Das Schiff wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört, während der weniger beschädigte Turm zunächst in die Sakristei des Neubaus einbezogen wurde. In der Zwischenzeit feierte man die Messe in einer Notkirche. Für den Neubau-Wettbewerb schlug Rudolf Schwarz drei Alternativen („Saal“, „Basilika“ und „T“) vor, die ihrerseits auf einer Reihe von Varianten beruhten. Selbst für den ausgeführten Plan überarbeitete Schwarz die prämierte Alternative „T“: Die zunächst noch vorherrschenden trapezförmigen Raumteile wurden schließlich ganz der Geometrie untergeordnet. Allein die Dächer bewahrten einen Rest der ursprünglichen Trapezidee.

    Für den unter Mitarbeit von Maria Schwarz und Günter Kleinjohann gestalteten Neubau wurde der Grundstein am 9. November 1958 gelegt, die Weihe am 31. Oktober 1959 gefeiert. Zur Geschichtlichkeit aller Kirchen gehörten für Rudolf Schwarz selbstverständlich ihre Veränderungen, die auch nicht vor seinem Essener Bau Halt machten. Zunächst wurde der Turm wegen Baufälligkeit abgetragen. Dafür hatte sich bereits Schwarz ausgesprochen. Probleme hatte aber auch der Neubau, der eine Werktagskapelle aufnehmen sollte. Um ihn gegen eindringende Feuchtigkeit zu schützen, wurden die Außenwände auf der West- und der Südseite nach Entwürfen von Maria Schwarz teils mit Metallpaneelen verkleidet, so dass heute nur noch die Nordseite die ursprüngliche Wandgestaltung zeigt. Im Innenraum kam es im nördlichen Seitenschiff zu Veränderungen. Der mittlere Beichtstuhl verschwand, um den Tabernakel aus der aufgegebenen Filialkirche St. Mariä Geburt aufzunehmen.

  • Der Architekt Rudolf Schwarz
    Rudolf Schwarz | Quelle: Albert Renger Patzsch (ca. 1930)

    Rudolf Schwarz | Quelle: Albert Renger Patzsch (ca. 1930)

    Der Architekt und Architekturtheoretiker Rudolf Schwarz (1897-1961), der in Straßburg aufwuchs, hatte über seinen Vater schon in seiner Jugend Kontakte zur frühen Liturgischen Bewegung. Er studierte Architektur an der TU Charlottenburg (zuletzt in Hans Poelzigs Meisteratelier), Theologie in Bonn und Kunstgeschichte in Köln und wurde 1923 zu den „Frühtypen der rheinischen Landkirche“ promoviert. Nachdem er kurzzeitig Mitarbeiter Jakob Koerfers in Köln war, wurde Schwarz 1924 Burgarchitekt von Rothenfels, dem Zentrum der Quickborn-Bewegung. 1925 berief man Schwarz an die Technische Lehranstalt in Offenbach, an der Dominikus Böhm lehrte, mit dem er eine Bürogemeinschaft einging. In Aachen verwirklichte er die Fronleichnamskirche und war seit 1927 – bis zur Schließung durch die Nazis – als Direktor der Kunstgewerbeschule tätig. Seit 1934 wirkte er als Privatarchitekt in Offenbach und baute vor allem Wohnhäuser.

    Während des Krieges war Rudolf Schwarz für den Wiederaufbau von Lothringen und von 1946 bis 1952 als Stadtbaumeister für den Wiederaufbau von Köln zuständig. Seit 1953 lehrte er als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf und heiratete 1951 seine Mitarbeiterin Maria Lang, die viele seiner Kirchen vollendete und sich bis heute um das Erbe ihres Manns kümmert. 1953 entfachte Schwarz die sogenannte Bauhaus-Debatte, indem er mit aller Schärfe den reinen Funktionalismus der klassischen Moderne kritisierte. Im Laufe seiner Karriere plante er ca. 100 Kirchen und Kapellen neu (kleinere Maßnahmen in der liturgischen Ausstattung nicht eingerechnet) oder entwarf ihren Um- oder Wiederaufbau (ungefähr die Hälfte davon wurde realisiert). Sie machten etwa 60 Prozent seiner Tätigkeit als Architekt aus. Unter seinen Profanbauten seien die Soziale Frauenschule in Aachen, der Wiederaufbau des Gürzenich und das Wallraf-Richartz-Museum in Köln hervorgehoben.

  • Literatur (Auswahl)
    • Karin Becker: Rudolf Schwarz 1897 – 1961. Kirchenarchitektur, Bielefeld 1981.
    • Heinz Dohmen/Eckehard Sons: Kirchen, Kapellen, Synagogen in Essen, Essen 1998.
    • Herbert Fendrich: Bedrohte Art? Die Kirchen von Rudolf Schwarz im Bistum Essen, in: Das Münster 64, 2011, 1, 64-66.
    • Thomas Hasler: Architektur als Ausdruck – Rudolf Schwarz, Zürich/Berlin 2000.
    • Barbara Kahle: Rheinische Kirchen des 20. Jahrhunderts, Köln 1985.
    • Eberhard Kleffner/Leonhard Küppers: Neue Kirchen im Bistum Essen, Essen 1966.
    • Julia Macke: Entwurfspraxis im Büro Rudolf Schwarz, Köln 2006.
    • Pehnt, Wolfgang: Rudolf Schwarz 1897 – 1961. Architekt einer anderen Moderne, Ostfildern-Ruit 1997.
    • Rudolf Schwarz: Vom Bau der Kirche, Würzburg 1938.
    • Rudolf Schwarz: Kirchenbau, Heidelberg 1960.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Prof. Dr. Jürgen Wiener, Düsseldorf (Beitrag online seit 10/2016)

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