Frankfurt am Main-Heddernheim

Cantate Domino

Anschrift Kirche
Ernst-Kahn-Straße 20
60439 Frankfurt am Main-Heddernheim

55 Himmelskuppeln

Wovon Rudolf Schwarz 1953/54 für seine Frankfurter St. Michael-Kirche nur träumte, wurde gut zehn Jahre später Wirklichkeit: Eine Kirche, die den Blick in den Himmel freigibt. Für das evangelische Gemeindezentrum Cantate Domino formten die Architekten Walter Schwagenscheidt und Tassilo Sittmann in Frankfurts Nordweststadt 1966 einen fensterlosen Kirchenkubus. Nur seine Decke aus 55 Glaskuppeln flutet den blendend weißen Saal mit Tageslicht – und erlaubt dem Besucher einen inspirierenden Ausblick.

  • Überblick
    Ort
    Frankfurt am Main-Heddernheim

    Landeskirche
    Evangelische Kirche in Hessen und Nassau


    Name der Kirche
    Cantate Domino

    Einweihung
    1966 (27. November)

    Architekten
    Walter Schwagenscheidt, Tassilo Sittmann

    Künstler
    Heinz Kreutz
    Besonderheit
    In Frankfurts nachkriegsmoderner Vorzeigesiedlung Nordweststadt wurde die Cantate-Domino-Kirche in einem Guss von den Planern der Siedlung auf ihr städtebauliches Umfeld hin gestaltet und programmatisch zu diesem hin geöffnet.

    Nutzung
    Liturgie, Kultur, Gemeindearbeit, Wohnen

    Standort / Städtebau
    Umgeben von vielgeschossigen Wohnbauten, staffelt sich das Ensemble von Cantate Domino an einem kleinen einladenden Kirchplatz.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Grundriss

    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Grundriss

    Das Ensemble der evangelischen Cantate-Domino-Gemeinde liegt gegenüber der katholischen St. Sebastian-Kirche in Frankfurts Nordwesten, in der nach ihrer Himmelsrichtung benannten, nachkriegsmodernen Neubausiedlung. An einem Ausläufer der Ernst-Kahn-Straße umfangen die Gemeindebauten und die Kirche auf längsrechteckigem Grundriss einen kleinen Vorplatz. Der Gottesdienstraum selbst zeigt im Westen ein Foyer, im Osten einen gestuften Altarraum. Nach Norden wird die Kirche durch eine Sängerempore, nach Süden durch eine Orgelempore mit darunterliegendem Gemeinderaum gerahmt.

     

    Außenbau

    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Außenbau | Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalpflege Hessen

    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalpflege Hessen

    Umgeben von Wohntürmen, staffeln sich die flachgedeckten kalksandsteinsichtigen Gemeindebauten am Kirchplatz: gerahmt von niedrigen Mauerzügen, mit einladenden Sitzgelegenheiten und einem Glockenträger, der sich als niedrige Wandscheibe zurückhaltend in die Anlage eingliedert. Überragt wird das Ensemble vom hochgeschlossenen Kirchenkubus.

     

     

     

    Innenraum

    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Innenraum | Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalpflege Hessen

    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalpflege Hessen

    Betritt man die Kirche von Westen über den Vorplatz und das großzügige Foyer, weitet sich ein weiß gefasster Saal. Belebt werden die Wände durch den grafischen Wechsel von gelochten und glatten Kalksandsteinoberflächen. Den gesamten Raum überfängt eine Betonrippendecke, in die 55 Lichtkuppeln eingefügt sind. Zwischen den heute zumeist fischgrätförmig aufgestellten Bänken leitet der Mittelgang zum Altarraum. Dessen Stufenanlage nimmt nach Norden die Nische für den Taufbrunnen, nach Süden ein Podest auf, wo früher die Kanzel stand, die heute als beweglicher Ambo dient. Auch der Gemeinderaum wird seitlich gerahmt: im Norden die kleinere Sänger-, im Süden die großzügige Orgelempore. Über der Orgel ist die Kirchendecke durch kubische hölzerne Akustikelemente gekennzeichnet.

  • Liturgie und Raum
    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Altarbibel | Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalpflege Hessen

    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Altarbibel | Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalpflege Hessen

    Die Frankfurter Cantate-Domino-Kirche steht an der Schwelle zwischen zwei evangelischen Raum- und Liturgiekonzepten: auf der einen Seite der noch fest auf die Kanzel und den erhöhten Altar ausgerichtete Saal, auf der anderen Seite der bereits zentralisierende Raum mit rundum flexibler Ausstattung. Schon in den späten 1960er Jahren „experimentierte“ die Gemeinde mit der größtenteils beweglichen Ausstattung ihrer Kirche: Mal ordnete sie die Gottesdienstteilnehmer in zwei strengen Bankblöcken mit Blick zum erhöhten Altarbereich, mal gruppierte sie aus Bänken, Hockern und Tischen eine kleine Andachtsrunde vor den Altarstufen. In beiden Fällen markierte das transportable Standkreuz den jeweiligen liturgischen Mittelpunkt, den Ort der erlebten göttlichen Gegenwart.

    Auch die Seitenbereiche des Raums wurden ins liturgische Spiel einbezogen. Entsprechend dem Namen der Kirche (Cantate Domino für „Singt dem Herrn“, Psalm 96) nutzte man die einander gegenüberliegenden Emporen zum dialogischen Musizieren. Unter der Orgelempore wurde durch eine Glasscheibe ein Bereich abgeteilt. In den Genehmigungsplänen noch als Taufkapelle ausgewiesen, diente diese Zone um 1970 als „Tageskirche“: Hier konnte sich der einzelne Gläubige – der Raum sollte tagsüber durch einen separaten Eingang zum Besuch einladen – in Sichtbeziehung zur Kirche mit besinnlicher Literatur zurückziehen. Bei Bedarf lässt sich die Glaswand zum Gottesdienstraum hin öffnen.

  • Ausstattung
    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Taufort | Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalpflege Hessen

    Frankfurt am Main-Heddernheim | Cantate Domino | Taufort | Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalpflege Hessen

    Das klare Konzept der Cantate-Domino-Kirche verzichtet programmatisch auf jede figürliche Darstellung, dafür erweisen sich viele scheinbar „einfache“ Stücke als bis ins Detail durchdacht. Die Architekten Walter Schwagenscheidt und Tassilo Sittmann selbst entwarfen die prägenden Ausstattungselemente wie Altar, Kreuz und Taufe.

    Der Altar wurde symbolträchtig als Tisch aus Olivenholz aus dem Land der Bibel gefertigt. Das Standkreuz blieb ohne „Abbild“ des leidenden Gekreuzigten. Den Taufort gestaltete Tassilo Sittmann bewusst als Brunnen, als Quelle lebendigen Wassers – und stiftete diesen zur Taufe seines Kindes. Südlich des Altarbereichs ließen die Architekten eine verglaste Nische, die zeichenhaft die Abendmahls- und Taufutensilien sichtbar macht.

    Das auffälligste Stück, das sich streng genommen ein wenig vom Raumkonzept der Architekten entfernt, wurde nach Entwürfen des Malers Heinz Kreutz (* 1923 Frankfurt am Main) gefertigt. Kreutz hatte 1952 die Künstlergruppe „Quadriga“ mit begründet, die den abstrakten Stil des Informel aus Frankreich nach Deutschland brachte. Für die Frankfurter Cantate-Domino-Kirche schuf er einen zehn Meter hohen, abstrakt farbigen Teppich, der bis heute als Wandbehang hinter dem Altar dient.

  • Von der Idee zum Bau

    Ab 1961 entstand in Frankfurt die vielbeachtete Vorzeigesiedlung „Nordweststadt“, die Walter Schwagenscheidt – in Zusammenarbeit mit Tassilo Sittmann – nach den Prinzipien seines Lehrbuchs „Raumstadt“ anlegte: Verschiedene Wohnhaustypen wurden großzügig von öffentlichen Grünflächen durchzogen, die Fußgängerwege vom Autoverkehr entflochten und das gesamte Areal durch Ober- und Unterzentren mit geschäftlichen, aber auch kulturellen Räumen aufgelockert.

    An den Unterzentren wurden in der Regel auch die Kirchenbauten beider Konfessionen verortet. So steht Cantate Domino im ökumenischen Gegenüber zur ebenfalls 1966 eingeweihten St. Sebastian-Kirche. Der katholische Bau wurde vom bewährten Frankfurter Architekten Johannes Krahn als feste gerichtete „Prozessionskirche“ gestaltet.

    Demgegenüber entschied sich die evangelische Seite programmatisch, die – damals im Kirchenbau noch unerfahrenen – Planer der Siedlung zu beauftragen. So schufen Schwagenscheidt und Sittmann eine beweglich gehaltene und auf ihre städtebauliche Umgebung hin geöffnete Kirche. Ein für die Bauzeit fortschrittliches Konzept – die Grundsteinlegung wurde 1965 am Himmelfahrtstag, die Einweihung am 1. Advent 1966 gefeiert.

  • Die Architekten Walter Schwagenscheidt und Tassilo Sittmann

    Der Architekt und Architekturtheoretiker Walter Schwagenscheidt (* 1886 Elberfeld, + 1968 Kronberg im Taunus) war – nach seinem Studium in Düsseldorf, Stuttgart und München – in der Zwischenkriegszeit als Mitarbeiter des Frankfurter Architekten Ernst May tätig. In dieser Zeit wirkte er u. a. an den großangelegten russischen Städtebauprojekten von May mit. Nach Kriegsende beeinflusste Schwagenscheidt mit seiner Grundlagen-Schrift „Raumstadt“ (1949) mehrere Generationen von (Stadt-)Planern. Gemeinsam mit dem jüngeren Tassilo Sittmann setzte er ab 1961 die Frankfurter Nordweststadt um.

    Der Architekt Tassilo Sittmann (* 1928 Frankfurt am Main) trat – nach seinem Studium in Darmstadt – 1952 in das Büro von Schwagenscheidt ein. Mit diesem plante er nicht nur die Frankfurter Nordweststadt, sondern auch zwei dortige Kirchenbauten: Cantate Domino (1966) für die Gemeinde der Landeskirche sowie ein Gemeindezentrum (1970, Teilabriss 2005) für die Evangelisch-(deutsch-)reformierten. Sittmanns letzter Kirchenbau, die Markuskirche in Kronberg-Schönberg/Taunus (1978), blieb der einzige Gottesdienstraum, den er alleine gestaltete. Beide Architekten, Schwagenscheidt wie Sittmann, schöpften aus dem klaren sachlichen Formenrepertoire des Neuen Frankfurt und konnten ihre kirchlichen Projekte – als ausgewiesene Städte- und Wohnungsbauer – auf kongeniale Weise mit der jeweiligen Umgebung verschränken.

  • Literatur (Auswahl)
    • Karin Berkemann: Nachkriegskirchen in Frankfurt am Main (1945-76), hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland; Kulturdenkmäler in Hessen), Stuttgart 2013 [zugl. Dissertation, Kirchliche Hochschule Neuendettelsau, 2012].
    • Paula Henrich: Nordweststadt. Junge Stadt auf altem Boden, hrsg. von der Frankfurter Sparkasse von 1822, Frankfurt am Main 1971.
    • Rolf Schmidt: Frankfurter Architekturführer ab 1945, 2 Bd.2, Frankfurt am Main o. J. [wohl 1987].
    • Hugo Schnell: Der Kirchenbau des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Dokumentation. Darstellung. Deutung, München/Zürich 1973.
    • Walter Schwagenscheidt: Die Nordweststadt. Idee und Gestaltung. Conception and Design, Stuttgart 1964.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald (Beitrag online seit 02/2016)

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