Gelsenkirchen-Ückendorf
Heilig Kreuz
Bochumer Straße 115
45886 Gelsenkirchen
-
Informationen
Kontakt / Öffnungszeiten Kirche Zur Webseite
2019-2021 Umbau zum Veranstaltungsort Heilig Kreuz im KREATIVQUARTIER Ückendorf. Anschrift Pfarramt Die Kirche gehörte vor der Profanierung und dem Verkauf an die Stadt Gelsenkirchen zur Prostei St. Augustinus.
Zur Webseite
Öffnungszeiten Pfarramt profanierter Veranstaltungsort; Kontakt:
Stadtteilbüro Bochumer Straße:
Telefon +49 (209) 31908-16
Fax +49 (209) 31908-20
Gottesdienstzeiten Kirche profanierter Veranstaltungsort; keine Gottesdienste
Kirchen im Westen
Ein Kreuzhymnus in Backstein
Zu ihrer Bauzeit war die im Südosten von Gelsenkirchen gelegene Kirche in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Als im katholischen Kirchenbau der einsetzenden Liturgischen Bewegung zunehmend kleinere, intimere Räume ohne größere Distanz zwischen Altar und Gemeinde bevorzugt wurden, entstand mit der Heiligkreuz-Kirche eine der größten Pfarrkirchen der Zwischenkriegszeit – monumental in den Dimensionen wie in der Gestaltung. Neben der Kirche am Hollenzollernplatz in Berlin ist sie die größte Kirche des deutschen Backsteinexpressionismus, der sich in Gelsenkirchen nicht nur auf die Architektur bezieht, sondern – und so nur für ihren Architekten Josef Franke typisch – ebenso auf Skulptur, Bildzeichen und Typographie.
- ÜberblickOrt
Gelsenkirchen-Ückendorf
Bistum
Bistum Essen
Name der Kirche
Heilig Kreuz
Weihe
1929 (2. Oktober)
Architekten
Josef Franke, pbs Architekten
Künstler
Andreas Wilhelm BallinBesonderheit
Expressionistische Backsteinarchitektur - Bilder, Zeichen und Typographie aus dem Klinkermaterial der Architektur - Typographische Innenraumdekoration
Nutzung
Im Zuge der Neuordnung der Pfarreien im Bistum Essen am 19. August 2007 ist Heilig Kreuz als Kirche "außer Dienst" gestellt und profaniert worden. 2019-2021 wird der Raum zum Multifunktionshaus Heilig Kreuz der Stadt Gelsenkirchen umgebaut.
Standort / Städtebau
Die Kirche liegt auf einem dreieckigen Grundstück zwischen drei Straßen, das weder einen größerer Platz vor der Kirche noch einen Blickfang aus der Ferne zulässt. Deswegen fällt der quer zur Bochumer Straße gelegene Bau sehr breit aus. - Beschreibung
Grundriss
Das ungünstig zwischen drei Straßen gelegene dreieckige Grundstück ließ weder einen größerer Platz vor der Kirche noch einen Blickfang aus der Ferne zu. Auch deswegen fiel die quer zur Bochumer Straße gelegene, 45 Meter lange (mit den Chor- und Fassadenanbauten 58 Meter) Kirche mit 27 Meter sehr breit aus.
Der Grundriss gliedert sich in vier Abschnitte:
1) die Fassade im (Süd-)Westen mit ihren teilweise vorgezogenen, rahmenden Anbauten; sie enthält über dem Eingangsraum auch die Orgelempore.
2) Der quadratische Saalraum, dessen gewölbetragende Wandpfeiler untereinander geöffnet sind. Den Triumphbogen am Übergang zum Chor flankieren Nebenaltäre.
3) Der von bestuhlten Querräumen flankierte, eingezogene, erhöhte, flach schließende Chor.
4) Die Anbauten hinter dem Chor (Priester- und Messdienersakristei, Paramentenraum).Außenbau
Der Außenbau ist durch das kompakte, von einem hohen Satteldach bedeckte Langhaus und die beiden gedrungenen Vertikalakzente des Fassaden- und Chorturms bestimmt. Das einprägende Motiv des monumentalen Westturms, der von mittelalterlichen Westwerken Westfalens und von Fassaden Dominikus Böhms beeinflusst ist, ist der riesige Parabelbogen. Seine Leibung fasst das Portal und ein großformatiges, ebenfalls mittelalterlich inspiriertes Fenster ein. Die zwölf gestapelten Kalksteinkuben auf halber Fensterhöhe sollten zu Apostelfiguren gemeißelt werden. Ausgeführt wurde das etwa sechs Meter hohe Backsteinkruzifix mit einem triumphierenden Christus (vom Gelsenkirchener Bildhauer Hans Meyer), überhöht von einer Metalltypographie, die aus dem Christusmonogramm sowie dem Alpha und Omega gebildet ist. Das Kreuz ist eine der beeindruckendsten Bildformen für das neue Christusbild der damals dominierenden Christkönigstheologie.
Der Chorturm schließt mit verschränkten Rund- und Spitzbögen ab, die inhaltlich als Krone zu lesen sind. Sie bekrönt den architektonischen Ort der Eucharistie, der hier bildlich im Sinne des gekrönten Gekreuzigten ausgezeichnet wird. Dieser wiederum ist nach der Offenbarung des Johannes (Offb 22,13) das Alpha und Omega. Wie schon in spätantiken Kreuzdarstellungen kommen die beiden, das Ganze von Raum und Zeit und die Einheit mit Gottvater umschreibenden Buchstaben auf der Ostseite des Chorturms neben einem Kreuz vor: alles aus und im Verbund mit Backstein. Derart wird die Kirche selbst zu einem Bild des Ganzen aus dem Kreuz heraus – und der Baukörper zugleich zum Körper des Gekreuzigten. Anschaulich erscheint derart die Kirche als Leib Christi.
Schließlich wird der Gedanke aus Kreuz, Leib und Triumph textlich erläutert über eine Backsteintypographie, die sich seitlich unterhalb des Chorturms an Langhaus befindet und die beiden ersten Zeilen des um 569 entstandenen und oft vertonten lateinischen Kreuzhymnus des Dichters Venantius Fortunatus zitiert: an der Nordseite: VEXILLA REGIS PRODEUNT (Die Fahnen des Königs treten auf) und auf der Südseite: FULGET CRUCIS MYSTERIUM (Das Geheimnis des Kreuzes erstrahlt). Im Licht des Hymnus’, der vom Glanz und der Purpurfarbe des Kreuzes spricht (s.u.), erfährt auch die glänzende Farbigkeit des Klinkers eine inhaltliche Dimension.
Innenraum
Die programmatische Einheit von Gestalt und Patrozinium bestimmt auch den akustisch sehr guten Innenraum, wo das gemalte Kreuz, das ursprünglich die Chorwand beherrschte, von Versen – ARBOR DECORA ET FULGIDA / ORNATA REGIS PURPURA (Du schöner, blitzender Baum, geschmückt mit des Königs Purpur) – umgeben wurden, wie auch weitere Verse die Gewölbe des Langhauses zieren. Die raumprägende, unmittelbar vom Boden aufsteigende Tonne aus Eisenbeton (Höhe: 19 m) mit parabelförmigen Querschnitt wird von Parabeltonnen zweiter Ordnung gekreuzt, die von wandpfeilerartigen Mauerzungen aufsteigen, die untereinander trapezförmig geöffnet sind.
Auf Ideen Dominikus Böhms gehen die übereinandergesetzten Bogenreihen der Chorwand und der Chorturm zurück, der mittels Lichtquellen, die vom Langhaus nicht sichtbar sind, den eucharistischen Raum in ein strahlendes Licht setzt. Die Räume seitlich des Altarraums zählten zu den frühesten mit einer Bestuhlung zum Altar hin.
- Liturgie und Raum
Der Architekt Josef Franke war spätestens 1915 mit Johannes van Acken persönlich bekannt. Van Ackens Publikation „Christozentrische Kirchenkunst“ gilt als richtungsweisender Text für eine neue liturgisch bewegte Sakralarchitektur, in der die Eucharistie („Messopfer“) stärker als je zuvor ins Zentrum des katholischer Frömmigkeit gestellt wurde. In diesem Sinn sind im Falle von Heilig Kreuz der breite einheitliche, von schmalen Seitenräumen zugängliche Langhausraum und die für Kinder vorgesehenen Querräume neben dem Chor zu lesen.
Tatsächlich ging Franke weniger von van Ackens Theorie einer Praxis aus als vielmehr von den konkreten Lösungen Dominikus Böhms für das, war er im Sinne des neuen Ideals der Liturgischen Bewegung als „Messopferkirche“ bezeichnete. Hierbei war die – durch die Farbkonzeption gesteigerte – liturgische Theatralik maßgeblich. Die Lichtinszenierung des Altarraums als sublimer Ort der Eucharistie, sein flacher Abschluss mit einem monumentalen Kreuz über Bogenstellungen, die kulissenartige Staffelung von Wandpfeilern eines mäßig tiefen Gemeinderaums und die dreiseitige Bestuhlung sind ebenso von Projekten Böhms (teilweise in Kooperation mit Martin Weber oder Rudolf Schwarz) beeinflusst wie der monumentale Fassadenakzent mit einem raumhohen Bogen und abschließendem Kruzifix.
Ein eigenständiger Beitrag Frankes zur neuen christozentrischen und christköniglichen Theologie und Liturgie ist die Einheit von Form und Funktion mittels Inschriften, Zeichen und Bilder in Skulptur und Malerei. Unmittelbar aus der Gestalt heraus wird der in jedem Messopfer memorierte Triumph der Erlösung durch den königlichen Christus visuell sinnfällig.
Die Heilig-Kreuz-Kirche ist ein besonders bezeichnendes Beispiel für die Übergangssituation der Zwischenkriegsjahre: Sie ist bau- und bildikonographisch eine Messopferkirche, die sie aber liturgisch-logistisch allein schon aufgrund ihrer Größe, aber auch wegen des abgerückten Altars und der beiden Nebenaltäre nur bedingt ist.
- Ausstattung
Nachdem die Kirche 2007 für den Gottesdienst aufgegeben wurde, befindet sich nur noch ein Teil der Ausstattung dort. Auf die Anfangszeit des Baus gehen die gemauerten Seitenaltäre, das eindrucksvolle Taufbecken, das von der Taufkapelle im südlichen Turmuntergeschoss in die Mittelachse hinter dem Eingang versetzt wurde, zwei Beichtstühle sowie der Kreuzweg zurück.
Von der bedeutenden und außergewöhnlichen Langhausdekoration wurden 1990/93 die Partien im Gewölbescheitel freigelegt und restauriert. Sie stammen von dem mehrfach mit Franke zusammen arbeitenden Gelsenkirchener Maler Andreas Wilhelm Ballin. Thema der Typographie ist der Kreuzhymnus „Vexilla regis“. Konzeptionell steht sie im Kontext einer bildkritischen christozentrischen Moderne, die Dekorationsmalerei, aber nur wenig Bilder zuließ. Bildreduktion hieß Konzentration auf die Kreuzikonographie, insbesondere auf die christkönigliche Triumphikonographie, die sich Kreuzdarstellungen vorgotischer Zeit zum Vorbild nahm. Die Chorneugestaltung verzichtete auf eine Rekonstruktion des Höhepunkts der Schriftbilder und wählte Pastelltöne statt der ursprünglich intensiveren Rot- und Beigefarbigkeit. Sie kontrastierte mit dem anfänglich bis auf den Boden herabreichenden Grün und Blau des Langhauses.
Noch dunkler wurde der Raum durch die – vermutlich von Franke und Ballin entwickelten – bildlosen Glasfenster. Einen Eindruck von ihrer einstigen Wirkung und damit von dem ursprünglichen farbintensiven Raumdunkel vermitteln die erhaltenen Originalfenster der Taufkapelle. Sie bestehen aus dickem, mehr an Steine als an Scheiben erinnerndem Antikglas mit reichlicher Schwarzlotverwendung.
- Von der Idee zum Bau
Weil die riesige Pfarrgemeinde St. Josef nach dem Ersten Weltkrieg über 17.000 Katholiken umfasste, wurde vom Kirchenvorstand eine Filialkirche für bis zu 2000 Gottesdienstteilnehmer geplant. Das Grundstück wurde 1920 erworben, der Auftrag 1922 an Franke erteilt, der bereits 1912 kleinere Aufträge für die Hauptkirche der Gemeinde ausgeführt hatte. Aufgrund der Inflation begannen die Arbeiten erst Ende 1926, als mit den umliegenden Gebäuden begonnen wurde. Am 13.11.1927 wurde der Grundstein für die Kirche nach inzwischen veränderten Plänen gelegt, in denen die neuesten Entwicklungen im katholischen Kirchenbau präsent waren. Die Verwendung von Eisenbeton ist dabei auch im Schutz vor Bergbauschäden begründet.
Nachdem die Kriegsschäden vor allem an Gewölbe und Fenstern behoben worden waren, wurde die Kirche 1948 eine eigenständige Pfarrkirche. In den 50er Jahren wurden weitere Gebäude, darunter das Pfarrhaus, fertig gestellt. Auch in Folge von Bergbauschäden kam es 1966 zu Restaurierungsarbeiten. Das neue, ungleich lichtere Farbkonzept geht auf Gerhard Kadow (1909-1981), Bauhaus-Schüler und Professor der Kölner Werkschulen, zurück. Weil vielen Gemeindemitgliedern der Raum zu dunkel war, erhielten die Wände helle Farbtöne und die von Blau- und Grüntönen dominierten Quadratraster der Fenster wurden von Weißglas gerahmt. Auch wurde eine neue Altarkonzeption im Sinne des Zweiten Vatikanums realisiert. Ein neuer, kleinerer Hauptaltar wurde näher zur Gemeinde plaziert, die Kommunionbank und die gemauerten Ambonen wurden beseitigt. Eine neue Orgel wurde 1972 aufgestellt.
Die 1990/93 erfolgte Innenraumsanierung der 1986 unter Denkmalschutz gestellten Kirche brachte eine Raumlösung, die zwischen den Konzepten von 1929 und 1966 vermittelt. Damals wurden auch die drei Radleuchter angebracht. Seit 2007 wird die Kirche, die seit 2002 Teil eines Gemeindeverbunds ist, nicht mehr für Gottesdienste genutzt. Geplant ist eine Übernahme durch die Stadt Gelsenkirchen und eine Integration in das benachbarte Wissenschaftszentrum. Die derzeitige Planung sieht einen behutsamen Umgang mit dem architektonischen Erbe vor, der die Raumerfahrung des christozentrischen Raums weitgehend unangetastet lässt.
2019: Am 16. Januar 2019 wurde der Grundstein für den Umbau zu einem Kulturzentrum der Stadt Gelsenkirchen gelegt. Bis 2021 soll aus dem Gebäude einer der außergewöhnlichsten Veranstaltungsorte des Ruhrgebiets werden.
- Der Architekt Josef Franke
Josef Franke (1876–1944) stammte aus einer Bauunternehmerfamilie in dem unmittelbar an Ückerndorf grenzenden Bochumer Stadtteil Wattenscheid. Entsprechend absolvierte er eine Maurerlehre, darauf eine Ausbildung an der Baugewerkschule Höxter. Bereits während seiner Hospitanz an der TU Charlottenburg kam er in Kontakt mit bekannten Kirchenarchitekten. Nach seiner Tätigkeit im Büro des Erzbischöflichen Baudirektors in Freiburg und im Hochbauamt Köln machte er sich 1903 selbstständig. Nach ersten Erfolgen baute er sich 1904/05 ein Atelieraus in Gelsenkirchen. 1908 realisierte er seinen ersten Kirchenbau.
Kirchen blieben seine wichtigste Bauaufgabe (Planungen für mehr als 50 Kirchen), er entwarf aber auch Wohn- und Geschäftshäuser sowie Verwaltungsgebäude, Altersheime und Krankenhäuser. Bereits seine frühen, noch spätgotisch geprägten Kirchen wiesen eine Tendenz zu einer Raumvereinheitlichung auf, und schon vor dem Ersten Weltkrieg begann er vom Historismus abzurücken. Schon länger mit Johannes van Acken bekannt, wandte er sich spätestens 1923 neuen Sakralbaukonzepten zu und orientierte sich am Expressionismus, seit etwa 1926 auch am Neuen Bauen.
- Literatur (Auswahl)
- Johannes van Acken: Christozentrische Kirchenkunst. Ein Entwurf zum liturgischen Gesamtkunstwerk, Gladbeck 1923 (2. Auflage).
- Sarah Bielawa: Die Heilig-Kreuz-Kirche von Josef Franke in Gelsenkirchen-Ückendorf, Masterarbeit Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2014.
- Architektur-Kolloquium Bochum (Hg.): Josef Franke, 163 Entwürfe für das 20. Jahrhundert, Essen 1999.
- Manfred Bourrée/Manfred Keller: Moderner Kirchenbau im Ruhrgebiet, Essen 1999.
- Paul Josef Cremers: Josef Franke, Berlin 1930.
- Manfred Paas (Hg.): St. Augustinus Gelsenkirchen. Schätze und Impulse aus den Kirchen einer Großstadtpfarrei, Lindenberg im Allgäu 2010.
- Thomas Parent: Kirchen als Zeugen der Industriegeschichte des Ruhrgebietes, in: Traugott Jähnichen (Hg.), Sonntagskirche und Alltagswelt, Essen 2009, S. 74-82.
- Thomas Parent/Thomas Stachelhaus: Kirchen im Ruhrrevier 1850–1935, Münster 1993.
- Religiana.com: Heilig Kreuz Public Event Space, Gelsenkirchen-Ueckendorf
- Maria Wegener: Der Architekt Josef Franke aus Gelsenkirchen, Diss. Bonn 1989.
- Marion Zerressen: „Heilig-Kreuz“ in Gelsenkirchen-Ückendorf. Ein Fallbeispiel zur Diskussion um den katholischen Kirchenbau zwischen Tradition und Moderne, Magisterarbeit Hamburg 1990.
Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.