Karlstein am Main-Dettingen

St. Peter und Paul

Anschrift Kirche
Luitpoldstraße 19
63791 Karlstein am Main-Dettingen
  • Informationen
    Kontakt / Öffnungszeiten Kirche Die Kirche ist tagsüber geöffnet.
    Anschrift Pfarramt Pfarrgemeinschaft Karlstein am Main
    Schulstraße 21
    63791 Karlstein am Main-Dettingen
    06188 9143514
    E-Mail
    Zur Webseite
    Öffnungszeiten Pfarramt DI: 9.00 - 11.00 Uhr
    DO: 15.00 - 17.00 Uhr
    Gottesdienstzeiten Kirche Die aktuellen Gottesdienstzeiten können online eingesehen werden unter: www.pg-karlstein.de/aktuelles/gottesdienste.
    Kirchen im Süden

Kartoffeln für den Expressionismus

Die „erste moderne Kirche in Deutschland“ nennt sie der Kunsthistoriker Hugo Schnell. Die Architekten von St. Peter und Paul aber, keine Geringeren als Dominikus Böhm und Martin Weber, machen in der Einweihungsschrift einen weiten Bogen um den Begriff „Moderne“ und verwahren sich gegen den Expressionismus-Vorwurf. Stattdessen sprechen sie von „tiefernster Gotik“ und „freudigstem Barock“. Wer ihre klare, basikal gegliederte Kirche mit Portalturm in Dettingen besucht, wird allerdings Mühe haben, explizit Gotisches und Barockes zu entdecken. Vielmehr wird er gefangen genommen von der monumentalen farbintensiven Wandmalerei des Künstlers Reinhold Ewald. Entstanden ist der Zyklus zur Zeit der Hochinflation. Der Künstler wurde nicht selten in Naturalien bezahlt: Statt wertlosem Papiergeld gab es dann einen Sack Kartoffeln.

  • Überblick
    Ort
    Karlstein am Main-Dettingen

    Bistum
    Bistum Würzburg

    Name der Kirche
    St. Peter und Paul

    Weihe
    1923 (1. Juli)

    Architekten
    Dominikus Böhm, Martin Weber

    Künstler
    Reinhold Ewald, Hede Rügemer, Paul Seiler
    Besonderheit
    Monumentale Wandbilder machen diese "erste moderne Kirche in Deutschland" (Hugo Schnell) zu einem expressionistischen Gesamtkunstwerk.

    Nutzung
    Pfarrkirche

    Standort / Städtebau
    Einst am Ortsrand erbaut, fügt sich die Kirche mit dem niedrige Portalturm heute ins Rechteckraster der Straßen.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Grundriss

    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Grundriss

    Dem Grundriss nach wirkt der Bau wie eine Basilika: Ein weites Mittelschiff wird flankiert von zwei schmalen Seitenschiffen. Der quadratische Chor schließt in voller Breite ans Mittelschiff an. Sakristeiräume mit darüberliegenden Emporen wirken wie ein Querhaus. Der Zugang erfolgt durch einen rechteckigen Turmbau und eine Emporenzone, die zu beiden Seiten in zwei Beichtkapellen mit Gewölbekonstruktionen aus Stampfbeton ausläuft.

     

    Außenbau

    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Außenbau | Foto: Michael Pfeifer

    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Foto: Michael Pfeifer

    Das Bruchsteinmauerwerk mit offenen Fugen wird in regelmäßigen Abständen von waagrechten Ziegelbändern unterbrochen. Der Chor, der sich in der Dachkonstruktion nicht abhebt, wird abgeschlossen durch eine flache Wandscheibe mit drei Sandstein-Fialen. An mittelalterliche Westwerke erinnert der niedrige Portalturm. Er schließt mit einem dreieckigen Zinnenkranz und einer schmalen Turmspitze. Erst seit 1997 ist die gesamte Dachfläche mit oxidiertem Kupfer belegt. Eine Umfassungsmauer grenzt den Vorplatz ab, dessen Aufgang überlebensgroße Portalfiguren der Kirchenpatrone flankieren.

     

    Innenraum

    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Foto: Michael Pfeifer (für das Foto wurden, den bauzeitlichen Zustand nachstellend, Volksaltar, Tabernekel und Ambo beräumt)

    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Foto: Michael Pfeifer (für das Foto wurden, den bauzeitlichen Zustand nachstellend, Volksaltar, Tabernakel und Ambo beräumt)

    Durch den ursprünglich dunklen Vorraum gelangt man ins Kirchenschiff, das kleine Dreiecksfenster im Obergaden belichten. Schlanke Eisenbetonstützen tragen den offenen Dachstuhl. Der Blick wird angezogen durch den aus unsichtbaren seitlichen Lanzettfenstern hell erleuchteten Altarraum und das monumentale Kreuzigungsbild von Reinhold Ewald. Zusammen mit den Bildern auf den Wandflächen des trapezförmigen Chorbogens ergibt sich ein expressives Triptychon. Erklärtes Ziel des Malers war es, den Kirchenraum optisch zu weiten, der ihm zunächst „als zu eng und maßlich zu festgelegt“ erschien.

  • Liturgie und Raum
    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Altarraum | Foto: Michael Pfeifer

    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Altarraum | Foto: Michael Pfeifer

    Dominikus Böhm und Martin Weber nennen in der Einweihungsschrift die christozentrische Bewegung als Leitmotiv für St. Peter und Paul: „Unser Streben war darauf gerichtet, eine energische Steigerung der räumlichen Wirkung mit der bestimmten und ausdrücklichen Richtung nach dem Hochaltar zu schaffen.“ Zur Begründung führen sie die Stützenreihung, die Steigerung der Lichtmenge und Farbigkeit am Hauptaltar sowie das Verschieben der Seitenaltäre aus der Blickachse an. Die kristallisch aufgelöste Chordecke solle den Altarraum entmaterialisieren, zudem war der Hochaltar ursprünglich durch eine vergoldete Predella hervorgehoben. Schaut man aber genauer hin, sucht man etliche Aspekte der „Christozentrischen Kirchenkunst“ – wie sie der Gladbecker Priester Johannes van Acken in seiner gleichnamigen Schrift 1922 propagierte – in Dettingen vergeblich. So verbleibt der Altar an der Stirnwand des Chorraums und ist auch nach außen nicht als bauliches Zentrum ablesbar. 1971 wurde der Altarraum neu geordnet, um einen vorgezogenen Volksaltar, einen Ambo und eine Tabernakelstele ergänzt.

  • Ausstattung
    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Kreuzwegstation | Foto: Michael Pfeifer

    Karlstein am Main-Dettingen | St. Peter und Paul | Kreuzwegstation | Foto: Michael Pfeifer

    Die Ausmalung durch Reinhold Ewald macht die Kirche zu einem expressionistischen Gesamtkunstwerk. Wie ein gewaltiger Fries von fast drei Metern Höhe umgreifen die vierzehn auf die Wand gemalten Kreuzwegstationen den Raum. Die Fertigstellung der Ausmalung zog sich vier Jahre hin, da es bei der Einweihung der Kirche zu einem Eklat kam. Der expressive Stil missfiel der bischöflichen Behörde, sie verlangte Änderungen und untersagte zunächst die Weiterarbeit. Raumbeherrschend ist das Altarbild, das sich erkennbar auf die Kreuzigungsdarstellung des Isenheimer Altars bezieht. Gleiches gilt für das Verkündigungsbild auf der linken Chorschräge. Rechts ist die Geburt Christi und in den Seitenschiffen die Heimsuchung sowie die Szene „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ zu sehen. Die vier Bilder des Marienlebens schieben sich also quer zum Passionsthema in den Raum. Vergebens sucht man ein Auferstehungsbild. Es ist der im Raum gefeierten Liturgie vorbehalten, dieses Geschehen ins Bild zu setzen.

    Die bildkünstlerischen Ausstattungen der Altäre stammten wie die Portalfiguren von Paul Seiler. Allerdings sind nurmehr die Teile des Apostelretabels vom Hochaltar erhalten, die Reliefs des Marien- und Josefsaltars hingegen verloren. Den Marienaltar ziert seither eine Statue aus der Werkstatt von Reinhold Ewald. Die korrespondierende Josefsfigur stammt von Hede Rügemer. Die ersten Entwurfszeichnungen zeigten noch eine Taufkapelle, die als Rundbau rechts des Chores geplant war, aber wegen Geldmangel nicht zur Ausführung kam. Bauherr und Architekt griffen die Pläne 1938 nochmals auf. Der Turm sollte erhöht und die Taufkapelle im Eingangsbereich rechts angefügt werden. Diesmal war es der Kriegsbeginn, der das Projekt vereitelte. Die geometrischen Muster in den Fenstern hat Dominikus Böhm entworfen, der erhaltene Beichtstuhl ist ein schönes Beispiel für sein Möbeldesign. Auch die Türgriffe in Kreuzesform, die Löwenköpfe am Portal und die Türblätter der Seiteneingänge gehen auf den Architekten zurück. 1962 wurde die Orgelempore – ursprünglich eine vielfache Dreieckskonstruktion – verändert und schneidet seither wie ein horizontaler Riegel die Rückwand. Die Orgel wurde von Gustav Weiß 1962 unter Verwendung des Pfeifenmaterials der ursprünglichen Siemann-Orgel von 1923 erbaut.

  • Von der Idee zum Bau

    Die spätgotische Wallfahrtskirche in Dettingen war schon lange zu klein geworden. Hugo Dümler, der als 32-Jähriger 1922 die neuerrichtete Pfarrei Dettingen übernahm, entschloss sich unmittelbar nach seinem Dienstantritt zum Neubau. Dominikus Böhm betrieb seinerzeit mit Martin Weber in Offenbach das Atelier für Kirchenbaukunst. Dort hatte Böhm 1919 die hölzerne Notkirche St. Josef errichtet, die verblüffende Ähnlichkeiten zum Steinbau in Dettingen aufweist. Vermutlich geht auch die Auswahl des Malers auf Dümler zurück, den Zeitzeugen als kunstsinnig und offen für moderne Strömungen beschreiben. In vor-ökumenischen Zeiten einem protestantischen Expressionisten die Ausmalung einer katholischen Kirche anzuvertrauen, ist dennoch keineswegs selbstverständlich.

    Reinhold Ewald | Foto: historische Aufnahme

    Reinhold Ewald | Foto: historische Aufnahme

    Der Grundstein zur Kirche wurde am 25. Juni 1922 gelegt. Bei der Einweihung am 1. Juli 1923 kam es zum Eklat, in dessen Folge das bischöfliche Ordinariat die weitere Ausmalung stoppte. Anders als diese rief die Architektur kaum Kritik hervor. Der expressionistische Maler Reinhold Ewald (1890-1974) war fasziniert von Fresken in Italien und setzte sich immer wieder mit den Alten Meistern auseinander. Nach dem Krieg konnte Ewald nicht mehr an seine einstige Berühmtheit anknüpfen und unterrichtete vorwiegend Aktzeichnen in seiner Heimatstadt Hanau. Während Ewalds Gemälde unter den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ aus den deutschen Museen entfernt wurden, überstanden die Dettinger Wandbilder diese Zeit unbeschadet. Sie wurden vermutlich schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Reinhold Ewald selbst hat die Bilder 1970 überarbeitet. Dabei wurden die seinerzeit verlangten Änderungen rückgängig gemacht, leider aber auch ein Firnis aufgetragen, der die Farben stark nachdunkeln ließ. Die jüngste Restaurierung 2005 hat diesen Prozess gestoppt und den Bildern damit ihre Leuchtkraft zurückgegeben.

  • Die Architekten Dominikus Böhm und Martin Weber
    Dominikus Böhm | Foto: Archiv Familie Böhm

    Dominikus Böhm | Foto: Archiv Familie Böhm

    Dominikus Böhm (1880-1955) und Martin Weber (1890-1941) haben dem modernen katholischen Kirchenbau in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgebliche Impulse gegeben. Vor dem Krieg hatte Böhm in Augsburg Bautechniker gelernt, während der zehn Jahre jüngere Weber seine Ausbildung an der Offenbacher Kunst- und Baugewerbeschule absolvierte. Seit seiner Berufung an die Kölner Werkschulen 1928 lebte Böhm in Köln, wo er 1955 verstarb und das Büro von seinem Sohn Gottfried Böhm fortgeführt wurde. Weber arbeitete bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1941 in Frankfurt, wo er von der detailklugen Notkirche bis zur repräsentativen Siedlungskirche tiefe architektonische Spuren hinterließ.

    Während Böhm mit unerschöpflicher Fantasie unterschiedlichste Bauformen kreierte, waren Webers liturgische Räume ihrer Zeit weit voraus – Stärken, die sie für einige Jahre in ihrem Offenbacher Atelier für Kirchenbaukunst zusammenführten. Mit Dettingen steht ein gemeinsames Projekt am Beginn ihrer später getrennten Wege. Beide waren inspiriert von der Liturgischen Bewegung, die im Kloster Maria Laach ein wichtiges Zentrum hatte. Böhm stand mit dem Kloster schon seit Jahren in Kontakt, Weber trat dem Benediktinerorden hier als Oblate bei. Zusammen steuerten sie den vielbeachteten Entwurf Circumstantes für die zweite Auflage des Buchs Christozentrische Kirchenkunst von Johannes van Acken bei. Bis auf Dominikus Böhm waren Bauherr Dümler, Architekt Weber und Maler Ewald allesamt Anfang 30 als sie gemeinsam das stilprägende Kirchenprojekt in Dettingen verwirklichten.

  • Literatur (Auswahl)
    • Clemens Jöckle: St. Peter und Paul, St. Hippolyt Dettingen am Main (Schnell Kunstführer 2199), Regensburg 1995.
    • Michael Pfeifer: Sehnsucht des Raumes. St. Peter und Paul in Dettingen und die Anfänge des modernen Kirchenbaus in Deutschland, Regensburg 1998.
    • Michael Pfeifer: Kosmischer Raum. Die Dettinger Passion des Expressionisten Reinhold Ewald, Regensburg 2011.
    • Adrian Seib: Der Kirchenbaumeister Martin Weber (1890-1941). Leben und Werk eines Architekten für die liturgische Erneuerung (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 91), Mainz 1998.
    • Reinhold Ewald 1890-1974. Expressiv, experimentell, eigenwillig, Katalog, Frankfurt am Main/Hanau 2015.
    • Wolfgang Voigt/Ingeborg Flagge (Hg.): Dominikus Böhm (1880-1955), Katalog, Frankfurt am Main/Köln, 2005, Tübingen/Berlin 2005.
    • Online-Präsentation der „Dettinger Passion(letzter Abruf 21.11.2022)

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Michael Pfeifer, Aschaffenburg (Beitrag online seit 11/2016)

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