Leonberg-Ramtel

Versöhnungskirche

Anschrift Kirche
Königsberger Straße 11
71229 Leonberg
  • Informationen
    Kontakt / Öffnungszeiten Kirche Bitte im Pfarramt erfragen!
    Anschrift Pfarramt Ev. Gesamtkirchengemeinde Leonberg
    Pfarrstraße 15
    71229 Leonberg
    07152/ 25569
    E-Mail
    Zur Webseite
    Öffnungszeiten Pfarramt Mo 10.00 - 12.00 Uhr
    Di + Do 9.00 - 12.00 Uhr
    Mi 14.30 - 17.00 Uhr
    Gottesdienstzeiten Kirche Die Gottesdienstzeiten können online abgerufen werden unter: www.ev-kirche-leonberg.de/gottesdienste-in-leonberg
    Kirchen im Südwesten

Freiräume …

Auch die Falken im Turm der Versöhnungskirche haben hier ihren Freiraum gefunden – die Gemeinde sowieso. Und wer die Kirche besucht, gelangt über eine Freitreppe und einen offenen Platz in die Weite des faszinierend stützenlosen Raumes. Die Versöhnungskirche – ein eigenwillig geformte Baukörper auch mit Bezug zu seiner geografischen Umgebung in Hanglage des württembergischen Glemstals. Die Ausweisung neuer Baugebiete ließ im „Ramtel“, im Osten der Stadt in den frühen 1960er Jahren auch eine neue evangelische Kirchengemeinde entstehen. So flossen nicht nur wachsende Bevölkerungszahlen, sondern auch die besondere Lage in die Planungen ein. Die Betonkonstruktion beeindruckt noch heute mit klarer Linienführung und stringenter liturgischer Gestaltung. Mit dem Bau der Versöhnungskirche erhielt der Stadtteil ein eigenes, architektonisch exponiertes Zentrum. Für die Planung und Umsetzung zeichnete der seinerzeit in der württembergischen Landeskirche baulich stark eingebundene Stuttgarter Architekt Heinz Rall verantwortlich.

  • Überblick
    Ort
    Leonberg-Ramtel

    Landeskirche
    Evangelische Landeskirche in Württemberg 


    Name der Kirche
    Versöhnungskirche

    Einweihung
    1965 (26. September)

    Architekt
    Heinz Rall

    Künstler
    Hanspeter Fitz, Heinz Trökes
    Besonderheit
    Der Dualismus von Weite und flexibler Raumordnung im Gegenüber zu einer geistlich geprägten Raumentwicklung und -(aus)gestaltung ist bestechend.

    Nutzung
    Eines von drei kirchlichen Zentren der ev. Kirchengemeinde Leonberg-Nord.

    Standort / Städtebau
    Das in Hanglage errichtete Bauensemble ist umgeben von Schule, Kindergärten sowie Wohnbauten bis hin zu mehrgeschossigen Häuserzeilen. Städtebauliche Maßnahmen wie der Bau eines Autobahntunnels (1999) halfen, den Ortsteil besser an die Kernstadt anzubinden.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Grundriss

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Grundriss

    Das Ensemble aus Kirchenraum und Gemeinderäumen besteht wesentlich aus zwei Baukörpern, zwischen denen sich ein atriumartiger Platz erstreckt. An den Kirchenraum ist südöstlich ein Glockenturm längsrechteckigen Grundformats angebaut. Nordöstlich des Freiplatzes erstreckt sich winkelförmig das Gemeindehaus. Der Innenhof mit Brunnen wird über eine breite, von Süden her angelegte Freitreppe erschlossen. Durch eine – beide Bauten im Norden zusammenschließende – Vorhalle ist der Haupteingang der Kirche zu erreichen. Die gestaffelt entwickelte Grundform des Kirchenraums wird bestimmt vom nach Süden orientierten, dreiseitig von Gestühl umstellten Ort von Kanzel und Abendmahlstisch. Zu Seiten des Haupteingangs sind eine Andachtsnische in der Nordwestecke des Kirchenbaus sowie Stuhllager und Sakristei angeordnet. Das vom Innenhof direkt wie seitlich über die Vorhalle zugängliche Gemeindehaus umfasst einen Saal mit Bühne, Gruppenräume sowie Teeküche, Garderobe und Sanitäranlagen.

     

    Außenbau

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Iris Geiger-Messner/ Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Iris Geiger-Messner/ Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

    Schon von Weitem fällt der steil aufragende, scharfkantige Glockenturm der Versöhnungskirche am Südwest-Hang des Bockbergs ins Auge. Während dieser, spitz nach oben zulaufend und in Beton und Kupfer erstellt, skulptural entwickelt wurde, ist die dagegen flach gehaltene Baugruppe aus Kirche und Gemeindehaus geometrisch differenziert geformt. Kirchenbau und Gemeindehaus bieten an allen vier Seiten räumlich ganz unterschiedliche Perspektiven. Von Süden erscheint das Gebäudeensemble visuell vereinheitlichend mit Pultdächern aus Kupfer gedeckt, die an Kirchen- und Gemeindesaal bis auf den Boden herabgezogen sind. Stirnwände und Südkante des Glockenturms steigen parallel schräg an. In abfallender Höhe des Kirchenschiffs Richtung Vorhalle ist der Raum in insgesamt vier Segmente gestaffelt, die wie ineinandergeschobene und zugleich seitlich versetzte Kuben mit ansteigendem Dach anmuten. Dabei erhielt das Kirchenschiff sichtbare, hochrechteckige Lichtöffnungen an der östlichen Nordseite, während die ebenfalls hochrechteckigen Fensterstreifen der südlichen Westseite mit der kupfernen Dacheindeckung fast zu verschmelzen scheinen. Glatt gestaltet sind die nördliche Westseite und auch die zum Innenhof gerichteten Wandsegmente. Von größeren Durchfensterungen durchbrochen zeigen sich die Ost- und Nordseite des Gemeindehauses, wobei letztere gen Nordosten aber ganz in die Hanglage des Kirchen-Grundstücks vertieft erscheint. Insgesamt betonen die steigenden und fallenden Dachflächen der Gesamtanlage in einer Gegenbewegung die Stellung der Kirche am Hang – und fügen sie so in die Landschaft ein.

     

    Innenraum

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Manfred Gloß

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Manfred Gloß

    Ineinandergeschoben oder abgetreppt in der Außenwirkung, präsentieren sich Wand- und Deckenzonen im Inneren mehrteilig gestuft und in unterschiedlichen, teils schiefen Winkeln aneinandergefügt. Die indirekte Lichtführung lenkt spannungsvoll den Blick auf die in rohem Sichtbeton erstellte, schräg ansteigende Altarwand im Süden. Das Licht fällt über schmale, zwischen Wand- und Deckenscheiben eingezogene Fensterstreifen und -schlitze ein. Mit deutlichem Abstand zur Altarwand sind Altar bzw. Abendmahlstisch und Kanzel frei und podestlos im Raum aufgestellt, die Orgel platzierte man links seitlich der Altarzone an der Südostwand. Auf einen ausgewiesenen Taufort wurde verzichtet. Insgesamt prägt den weiten, stützenfreien Innenraum ein Zusammenspiel von rohem Sichtbeton, rötlichem Ziegellochstein und warmem Holz, das der Architekt bewusst im Kontrast zu den charakteristisch harten Materialien der Zeit wie Beton und Ziegelstein eingesetzt hat. Hinzu tritt das sich durch die indirekte Lichtführung im Raum ergebende Wechselspiel zwischen Hell und Dunkel. Einzig die im Nordwesten seitlich der verglasten Eingangszone eingepasste, schmale Andachtsnische weist ein großformatiges Fenster auf, das mit farbigen Gläsern künstlerisch gestaltet wurde.

  • Liturgie und Raum
    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Manfred Gloß

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Manfred Gloß

    Das Raumkonzept der Versöhnungskirche zeigt eine klare Abkehr von kirchenbaulichen Raumlösungen, wie sie vielerorts bis weit in die 1960er Jahre in Anlehnung an die Rummelsberger „Grundsätze für die Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes der evangelischen Kirchen“ (1951) zu finden waren. Eine axiale Raumentwicklung ist hier ebenso überwunden wie eine Erhöhung des Altarraums. Mit Tendenz zu einer annähernd konzentrischen Raumvorstellung sind Altar bzw. Abendmahlstisch und Kanzel nicht erhöht, nicht fest montiert und in der Grundform dreiseitig von flexibel kombinierbarem Gestühl umgeben. Zugleich hat der Architekt aber sehr bewusst einen klar auf liturgische Nutzung und Beziehung gestalteten Raum geschaffen; der ab den späteren 1960er Jahren favorisierte, vielfältig verwendbare Mehrzweckraum ist hier (noch) nicht umgesetzt. So rücken in der Entwicklung der Gesamtanlage auch Kirche und Gemeindehaus, also Liturgie und Gemeindearbeit, Sonntag und Alltag schon räumlich nahe aneinander, bleiben in baulicher Entwicklung und Nutzung aber doch deutlich voneinander getrennt. Die Versöhnungskirche zeigt entsprechend die Umbrüche der 1960er Jahre im evangelischen Kirchenbau an, in denen sich ihr Architekt allerdings klar gegen die viel diskutierte Beliebigkeit multifunktionaler Räume aussprach.

  • Ausstattung
    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Hans-Jürgen Blohm

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Hans-Jürgen Blohm

    Der insgesamt recht pur entwickelte Kirchenraum weist nur wenige Ausstattungsstücke auf. Raumprägend ist die vor der schräg ansteigenden Altarwand über Abendmahlstisch und Kanzel aufgehängte, eine Dornenkrone abstrahierende Bronzeplastik von Hanspeter Fitz. Von demselben Künstler, der ab 1960 mit der Entwicklung von schwebenden Raumplastiken im Sinne architekturgebundener skulpturaler Lösungen auf sich aufmerksam machte, stammt auch das gleichfalls in Bronze erstellte Kruzifix in der Andachtsnische neben dem Haupteingang. Das dort befindliche, in abstrakten Formen entwickelte Farbglasfenster entwarf der international agierende, in den frühen 1960er Jahren u.a. an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, später an der Hochschule für bildende Künste, Berlin tätige Maler Heinz Trökes. Der quadratisch entwickelte Abendmahlstisch und die Kanzel wurden in Material und Konstruktion – aus ineinander gefügten Holzbalken – aufeinander abgestimmt. Die freie Bestuhlung ist lose auf dem in weiten Platten angelegten Betonboden aufgestellt. Die an der Südostwand entwickelte Orgel wurde von E. F. Walcker, Ludwigsburg, gefertigt, ihr mit hölzernen Pfeifen versehener Prospekt ist farblich wie gestalterisch in den Raum eingepasst.

  • Von der Idee zum Bau
    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Iris Geiger-Messner/ Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Iris Geiger-Messner/ Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

    Bis in die 1950er Jahre hinein lebten im Bereich des „Ramtel“ nur wenige Menschen. Dann aber wurde dieser als großes Baugebiet erschlossen, das schon Mitte der 1960er Jahre gut 4800 Einwohner, unter ihnen viele Flüchtlinge, verzeichnete. Für ihre kirchliche Versorgung entstand bald auch eine neue evangelische Kirchengemeinde: 1959 wurde ein „Baracke“ genanntes, hölzernes Fertighaus mit 100 Sitzplätzen als Kirchsaal im Ramtel aufgestellt. Ende 1960 kam ein eigener Pfarrer und 1962 wurde ein Kirchengemeinderat gegründet. 1963 begannen die Arbeiten zur Erstellung eines gemeindlichen Zentrums mit Kirche und Gemeindehaus. Planung und Umsetzung der Versöhnungskirche oblagen dem Stuttgarter Architekten Heinz Rall; seinerzeit für eine Reihe kirchlicher Neubauten vorwiegend im Bereich der württembergischen Landeskirche veranwortlich. Im September 1965 wurde der Kirchenbau eingeweiht, auch Pfarramt und ein Kindergarten entstanden in direkter Nachbarschaft. In der seit Frühjahr 1965 selbstständigen Gemeinde entwickelte sich ein umfangreiches, landeskirchlich flankiertes „Kirchenexperiment“, das Dietrich Bonhoeffers Ansatz „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“ in ein neues Gemeindekonzept zu übersetzen suchte. Es entstanden u. a. neue Dienststrukturen mit neuen Gottesdienstformen, einer Öffnung für (stadt-)gesellschaftliche Themen sowie offenen Angeboten für Kinder und Jugendliche. In Bau, Anlage und Umfeld konnte der Architekt hier Vieles von dem umsetzen, was er in einer Grundsatzrede beim Evangelischen Kirchbautag 1959 in Stuttgart gefordert hatte – etwa: „Die gesamte Anlage sollte einen vom Verkehr abgeschlossenen Bezirk mit eigenen Freiräumen bilden.“

  • Der Architekt
    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Manfred Gloß

    Leonberg I ev. Versöhnungskirche | Foto: Manfred Gloß

    Der Architekt Dipl.-Ing. Heinz Rall wurde am 28. September 1920 in Stuttgart geboren. Nach dem Abitur zur Wehrmacht eingezogen, studierte er nach dem Krieg von 1947 bis 1953 an der Technischen Hochschule Stuttgart Architektur bei Rolf Gutbrot und Hans Volkart, bei dem er ab 1950 im Büro mitarbeitete. 1953 begründete er zusammen mit Hans Röper ein Architekturbüro in Stuttgart, 1960 eröffnete Heinz Rall ebendort das eigene Büro Rall und Partner. Aus seiner Hand entstanden zahlreiche kirchliche sowie profane Bauten – von öffentlichen Gebäuden über Wohn-, Büro- und Geschäftshäuser bis hin zu Sportstätten – vor allem im südwestdeutschen Raum, aber auch in Österreich. Zu den über 20 (evangelischen) Kirchen gehören u.a. die Christuskirche in Sindelfingen (1959), die Versöhnungskirche Leonberg-Ramtel (1965) und die Gartenstadtkirche Stuttgart-Luginsland (1969), aber auch je eine Kirche in Kassel und in Kärnten. Rall war auch in Umbau und Erneuerung von Kirchen tätig – so besonders an der Mauritiuskirche in Güglingen (1977), wo er sich später niederließ. Hier wurde er Motor der Stadterneuerung – und kam in Verbindung mit der Bildhauerin Ursula Stock, mit der er nachfolgend vielfältig zusammenarbeitete – und schließlich auch privat verbunden war. Heinz Rall starb am 29. August 2006 in Güglingen. Er erhielt Auszeichnungen, gewann zahlreich Wettbewerbe – und wurde auch mit Fachbeiträgen bekannt, wie etwa einer Grundsatzrede auf dem Evangelischen Kirchbautag 1959 in Stuttgart.

  • Literatur (Auswahl)
    • Simone Meyder: Sichtbeton, Faserzement und Glas. Kulturdenkmale der 1960er und 1970er Jahre, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 42 (2013,4), 227-232.
    • Anette Pelizaeus: Christliche Kunst in Südwestdeutschland: 19. und 20. Jahrhundert, in: Württembergische Kirchengeschichte Online (Abruf: 20190711)
    • Heinz Rall: Kirchliches Bauen in der Wohnstadt, in: Rainer Bürgel / Andreas Nohr: Spuren hinterlassen … 25 Kirchbautage seit 1946, Hamburg 2005, 64-70.
    • Heinz Rall: bei: Archinform (Abruf: 20190708).
    • Andrea Steudle: Versöhnungskirche in Leonberg-Ramtel. Sakral und multifunktional, in: Gotteszelt und Großskulptur. Kirchenbau der Nachkriegsmoderne in Baden-Württemberg (Ausstellungskatalog Zwölf). Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Arbeitsheft 38, Ostfildern 2019, 186-191.
    • Ursula Stock: Internetpräsenz Ursula Stock
    • Verein für christliche Kunst in der evangelischen Kirche Württembergs (Hrsg.): Evangelische Kirchen und christliche Kunst in Württemberg 1957–1966. Ein Querschnitt. Jahresgabe 1966 für die Mitglieder des Vereins für christliche Kunst in der evangelischen Kirche Württembergs, Stuttgart o. J. [1966].
    • Ev. Versöhnungskirche in Leonberg-Ramtel/Württ. – Architekt Dipl.-Ing. Heinz Rall, Stuttgart, in: Kunst und Kirche 29 (1966,1) 12 f.
    • Ev. Versöhnungskirche in Leonberg-Ramtel: Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg – Ausstellung ZWÖLF Kirchenbauten der Nachkriegsmoderne in Baden-Württemberg. (Abruf: 20191129)

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Matthias Ludwig, Schweinfurt (Beitrag online seit 09/2019)