Mannheim

Versöhnungskirche

Anschrift Kirche
Schwabenheimer Straße 2-6
68219 Mannheim
  • Informationen
    Kontakt / Öffnungszeiten Kirche Bitte im Pfarramt erfragen.
    Anschrift Pfarramt Evangelische Versöhnungsgemeinde
    Schwabenheimer Straße 25
    68219 Mannheim
    0621 891497
    E-Mail
    Zur Webseite
    Öffnungszeiten Pfarramt DI - MI: 9.00 - 13.00 Uhr
    DO - FR: 9.00 - 12.00 Uhr
    Gottesdienstzeiten Kirche Die aktuellen Gottesdienstzeiten können online eingesehen werden: gemeinderheinau.ekma.de/gottesdienste.
    Kirchen im Südwesten

„Befreiung der Gestalt“

„Befreiung der Gestalt und Lichtführung als Kunst der Raumbildung“, nicht weniger verlangte der Architekt Helmut Striffler von seinen Bauten. Entsprechend freisinnig-scharfkantig erhebt sich die von ihm entworfene Versöhnungskirche am Marktplatz von Mannheim-Rheinau. Einst galt sie als einer der provozierendsten Neubauten im Süden Mannheims nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit 2008 Kulturdenkmal, gehört sie zu einem höchst bedeutenden Ensemble kirchlicher Nachkriegsmoderne, das katholischer- wie evangelischerseits in der Kurpfalz-Metropole entstanden ist. Neben drei weiteren Kirchen aus Strifflers Hand zählen hierzu u.a. Bauten von Heinz Heß, Richard Jörg, Reinhold Kargel, Carlfried Mutschler, Hans Rolli und Gerhard Schlegel. Stolz legte der Verkehrsverein der Stadt dafür Mitte der 1960er Jahre eine eigene Tourismus-Broschüre zum modernen Kirchenbau auf.

  • Überblick
    Ort
    Mannheim

    Landeskirche
    Evangelische Landeskirche in Baden


    Name der Kirche
    Versöhnungskirche

    Einweihung
    1965 (28. März)

    Architekt
    Helmut Striffler

    Künstler
    Emil Kiess, Bettina Mohr, Hubertus von Pilgrim, Lore-Lina Schmidt
    Besonderheit
    Die Versöhnungskirche, die einer expressiven Betonskulptur gleicht, steht für Mitte der 1960er Jahre anstehende Umbrüche im evangelischen Bau- und Raumverständnis.

    Nutzung
    Eine von drei Predigtstätten der Evangelischen Gemeinde Rheinau.

    Standort / Städtebau
    Im Zentrum von Rheinau bricht die Versöhnungskirche die weitenteils rechtwinklige Blockanlage des Stadtteils auf. Das Umfeld ist von ein- bis zweigeschossigen Wohnbauten ebenso geprägt wie von bis zu fünfgeschossigen Wohnbauzeilen und einer Hochhaus-Gruppe.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Mannheim | Versöhnungskirche | Grundriss

    Mannheim | Versöhnungskirche | Grundriss

    Der Kirchengrundriss zeigt ein im Altar- und im Eingangsbereich aufgebrochenes, unregelmäßiges Trapez, das vom Rheinauer Markplatz her von Südwesten erschlossen wird. Der Kirchenbau selbst orientiert sich zum Altarraum nach Nordosten hin. In die südöstliche Ecke ist die dreieckige Grundfläche des Glockenturms eingepasst. Gen Norden folgt ein Gemeindehaus auf einem schmalen, langgestreckten, trapezförmigen Grundriss.

     

    Außenbau

    Mannheim | Versöhnungskirche | Foto: Rudolf Stricker, gemeinfrei

    Mannheim | Versöhnungskirche | Foto: Rudolf Stricker, gemeinfrei

    Mit einem nach innen gezogenen Eingangsbereich öffnet sich der flach abschließende, heute grau gestrichene Sichtbetonbau der Kirche zum gegenüberliegenden Marktplatz. Rechts kragt die Südwestecke des Baus in einer scharfkantigen Wandscheibe zur Straße vor. Über dem Hauptportal strebt ein tiefliegendes, breites Fenster nach oben, links durchschneiden ein hoher Fenster- und Türschlitz sowie zwei niedrige Fensterschlitze die ansonsten geschlossene Wandfläche. Nur wenige schmale Lichtstreifen durchziehen auch die nordwestliche und -östliche Seitenwand, aus der die geschlossene Altarwand ein Stück gen Norden hervorgedreht ist. Geradezu zerklüftet präsentiert sich demgegenüber die schräg gesetzte, palisadenartige Südwand: ein Wechsel aus winklig gestellten Betonpfeilern und schmalen, tiefliegenden, teils vom Boden bis zur Dachkante reichenden Fensterlinien. Den Turm schließlich durchläuft je Seite eine schlitzartige, teils von Querstreben unterbrochene Öffnung. Unmittelbar an die Nordwestwand angebaut ist das flache, ebenfalls betonsichtige Gemeindehaus, das sich pavillonartig an der Schwabenheimer Straße entlangzieht.

     

    Innenraum

    Mannheim | Versöhnungskirche | Foto: Ev. Versöhnungsgemeinde, Mannheim

    Mannheim | Versöhnungskirche | Foto: Ev. Versöhnungsgemeinde, Mannheim

    Vom Hauptzugang an der Südwestseite gelangt man unter der tief in den Raum hineinreichenden Empore hindurch ins Innere. Dieses wird geprägt von einer dunkel gehaltenen Decke, rauen Sichtbetonflächen und einer Lichtführung, die den zweifach gestuften Altarbereich im Nordosten hervorhebt: Aus einem wandhohen, seitlichen Fensterschlitz fällt von rechts helles Streiflicht auf die Altarwand. Der übrige Innenraum ist geprägt vom Wechselspiel teils weiter geschlossener Wandflächen, die von mehr oder minder breiten bzw. schmalen, farbig verglasten Fensteröffnungen durchbrochen werden. Eindrücklich ist besonders die palisadenartige, von teils raumhohen Lichtschlitzen durchzogene Südwand. Über eine schachtartig auskragende Wandscheibe indirekt eingeführtes Tageslicht betont sodann das am linken Eck des Altarraumpodestes aufgestellte Kanzelpult. Im gesamten Kirchenraum sind – ähnlich Fackeln – schräg aus den Wänden vorstoßende Leuchtstäbe verteilt. Zur weit ausladenden, massiven Betonempore führt an der Nordwestwand eine schmale Betontreppe hinauf. Im Untergeschoss des Turms an der Südostecke schließlich wurde die Sakristei eingerichtet.

  • Liturgie und Raum
    Mannheim | Versöhnungskirche | Altarraum | Foto: Ev. Versöhnungsgemeinde, Mannheim

    Mannheim | Versöhnungskirche | Altarraum | Foto: Ev. Versöhnungsgemeinde, Mannheim

    Die Versöhnungskirche zeigt eine beginnende Abkehr von Raumlösungen, wie sie vielerorts bis weit in die 1960er Jahre noch den „Grundsätzen für die Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes der evangelischen Kirchen“ von 1951 folgten. So wurde in Rheinau auf eine axiale Grundrissform mit einem stark erhöhten Altarraum verzichtet. Trotz zentralisierender Tendenzen blieb man aber einem eindimensional auf den Altarbereich hin gerichteten Raum verhaftet. Bühnenartig wird der mittig aufgestellte Altar je von Kanzel(pult) und Taufe flankiert. Vom Haupteingang führt – nach der Grundidee – ein leicht geschwungener Mittelgang zwischen zwei großen Bankblöcken zu einem um zwei Stufen erhöhten Altarbereich. Die Bänke sind jedoch programmatisch kurz gehalten und damit leichter beweglich. Auch rücken Kirche und Gemeindehaus, also Liturgie und Gemeindearbeit, schon räumlich aneinander, bleiben aber in Bau und Nutzung noch klar voneinander getrennt.

  • Ausstattung
    Mannheim | Versöhnungskirche | Glasgestaltung| Foto: Ev. Versöhnungsgemeinde, Mannheim

    Mannheim | Versöhnungskirche | Glasgestaltung| Foto: Ev. Versöhnungsgemeinde, Mannheim

    Die Versöhnungskirche wurde ursprünglich mit einer bewusst reduzierten, geradezu minimalistischen Ausstattung angelegt. Künstlerisch entwickelt wurden der hinter dem Altar etwa zweieinhalb Meter hoch aufragende, wie zerfetzt wirkende Kruzifixus – eine Bronzeplastik von Hubertus von Pilgrim aus Braunschweig – und die schmalen hohen Fenster, die der Maler Emil Kiess aus Trossingen in zurückhaltender Farbigkeit entwarf. Sie wurden von der Glaswerkstatt Gabriel Loire in Chartres gefertigt. Die bis zu 400 Personen fassenden Bänke gestaltete – wie wohl auch Altar, Kanzel und Taufe – der Architekt, die Paramente stammen von der Mannheimer Künstlerin Lore-Lina Schmidt. Die elektronische Orgel der Allen Organ Company wurde 1989 eingeweiht. Aktuell, im Jahre 2018, vermehrte man die Innenausstattung der Kirche um Werke der Mannheimer Künstlerin Bettina Mohr – mit der hinter dem Kruzifixus angebrachten Installation „Christussonne“, einer goldfarbenen, hölzernen Scheibe von fast zwei Metern Durchmesser, sowie Zyklen farbiger Tafeln unter dem Titel „Farbraum – Farbräume“ im Kirchenraum.

  • Von der Idee zum Bau

    Die Geschichte des 1913 nach Mannheim eingemeindeten Stadtteils Rheinau setzt wesentlich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. Für eine bald rasch wachsende Siedlung entstand 1904 eine kleine Notkirche, deren Provisorium lange Bestand hatte. Im Zweiten Weltkrieg unzerstört und ab 1953 Michaelskirche genannt, erfolgten erst zu den 1960er Jahren hin Neubauplanungen. Dabei diskutierte man zuerst noch eine Vergrößerung der alten Kirche, ehe der Mannheimer Architekt Helmut Striffler mit der Konzeption einer neuen beauftragt wurde. Deren Grundstein wurde 1963 gelegt, nachdem man in einem ersten Abschnitt 1961/62 bereits das Gemeindehaus errichtet hatte. 1964 wurde das Richtfest gefeiert, und am 28. März 1965 konnte die neue Versöhnungskirche eingeweiht werden. Eine ursprünglich im Nordosten noch vorgesehene Kindergarten-Gruppe wurde nicht verwirklicht. In den 1980er Jahren erhielt die ehemals betonsichtige Kirche einen grautonigen Anstrich.

  • Der Architekt Helmut Striffler
    Mannheim | Jonakirche (Kapelle auf der Blumenau) | Foto: Frank, CC BY SA 3.0

    Mannheim | Jonakirche (Kapelle auf der Blumenau) | Foto: Frank, CC BY SA 3.0

    Helmut Striffler wurde am 1. Februar 1927 in Ludwigshafen am Rhein geboren. Nach dem Abitur absolvierte er eine Maurerlehre und ein Praktikum in der Bauabteilung der BASF. Von 1950 bis 1955 studierte er Architektur an der TH Karlsruhe, u. a. bei Egon Eiermann, bei dem er auch Mitarbeiter wurde. Parallel besuchte er Sommerkurse über Kirchenbau bei Otto Bartning an der TH Darmstadt. Ab 1956 wurde Striffler als freier Architekt in Mannheim tätig. Von 1969 bis 1974 lehrte er an der Technischen Universität Hannover, dann bis 1992 an der Technischen Hochschule Darmstadt.

    Striffler war vielfältig in Wort, Schrift und Tat wirksam, u. a. im Arbeitsausschuss des Evangelischen Kirchbautags. Seine Projekte erstrecken sich von Wohn- und Geschäftshäusern über Büro- und Verwaltungsgebäude bis hin zu Schul-, Kultur- und Tagungsbauten. Umfangreich ist besonders sein kirchliches Werk, aus dem die Trinitatiskirche in Mannheim (1959), die Jonakirche Mannheim-Blumenau (1961), die Versöhnungskirche Mannheim-Rheinau und die Versöhnungskirche auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau (1967) herausragen. Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus verlieh ihm 2008 die Ehrendoktorwürde. Bis zu seinem Lebensende war er vielfältig tätig und aktiv, ab 2000 zusammen mit seinem Sohn Johannes im Büro Striffler + Striffler, Mannheim. Am 2. Februar 2015 ist Helmut Striffler in Mannheim gestorben.

  • Literatur (Auswahl)
    • Ingeborg Flagge (Hg.): Helmut Striffler Architekt . Fotograf Robert Häusser. Ausstellungskatalog, Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main, Hamburg 2002.
    • Ingeborg Flagge: Wo der Bau die Kunst umarmt. Das Werk des Mannheimer Architekten Helmut Striffler, in: Die Zeit 43, 1987 (www.zeit.de/1987/43/wo-der-bau-die-kunst-umarmt, Abrufdatum: 10. November 2018).
    • 50 Jahre Versöhnungskirche Rheinau. Festgottesdienst am 29. März, in: Stadtteil-Portal.de. Nachrichten aus Mannheim, 10. März 2015 (www.stadtteil-portal.de/Nachrichten-Mannheim/50_Jahre_Versoehnungskirche_Rheinau_427.html, Abrufdatum: 10. November 2018).
    • Karin Leydecker: Helmut Striffler, Architekt, 1927-2015, in: Deutsches Architektenblatt, mit DAB regional Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland 47, 2015, 3, nach 34, 8-9 (www.baufachinformation.de/helmut-striffler-architekt-1927-2015/z/2015039011812, Abrufdatum: 10. November 2018).
    • Eva Seemann: Moderne Kirchen braucht die Stadt. Die Sakralbauten Helmut Strifflers in Mannheim, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1, 2018, 44-49 (journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/nbdpfbw/article/view/46099, Abrufdatum: 10. November 2018).
    • K. A. Straub (Bearb.): mannheim – moderner kirchenbau 1959-1966, hg. vom Verkehrsverein Mannheim, Mannheim o. J. [1966].
    • Helmut Striffler. Ein Werkbericht, hg. vom Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart, Marburg, in Zusammenarbeit mit Helmut Striffler, Mannheim, Mannheim 1968.
    • Versöhnungskirche in Mannheim-Rheinau (1965). Architekt Dipl.-Ing. Helmut Striffler, Mannheim, in: kunst und kirche 30, 1967, 3, 106-109.
    • Onlineporträt der Versöhnungskirche Mannheim, auf: sosbrutalism.org (www.sosbrutalism.org/cms/15890135, Abrufdatum: 17. November 2018)
    • Internetpräsenz des Architekten Helmut Striffler: www.striffler-architekten.de.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Matthias Ludwig, Schweinfurt (Beitrag online seit 11/2018)

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