Neuss

St. Pius X.

Anschrift Kirche
St.-Pius-Kirchplatz 5
41464 Neuss
  • Informationen
    Kontakt / Öffnungszeiten Kirche 02131 222327
    E-Mail
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    Täglich
    08:30 - 18:00 Uhr
    Anschrift Pfarramt Pfarreingemeinschaft Neuss-Mitte
    Freithof 7
    41460 Neuss
    02131 222327
    E-Mail
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    Öffnungszeiten Pfarramt MO - FR 9.30 - 12.00 Uhr
    MO - Do 14.30 - 17.00 Uhr

    Pfarramt St. Pius (St. Piuskirchplatz 5, 41464 Neuss, 02131 4026625):
    DI: 9.30 - 11.30 Uhr
    Gottesdienstzeiten Kirche Die aktuellen Gottesdienstzeiten können online eingesehen werden unter: neuss-mitte.de/gottesdienstordnung/ .
    Kirchen im Westen

alles im fluss

Zunächst ist da ein einziges Gewoge. Wer die Piuskirche in der von den 1950er Jahren geprägten Neubausiedlung entdeckt, sieht sich einem nur aus Rundungen bestehendem Bau mit einer einzigen durchgehenden und wellenartigen Dachzone gegenüber. Solche Geschmeidigkeit – der Eindruck stellt sich unmittelbar ein – ist nur mittels eines oft verpönten Materials möglich: Beton! Tatsächlich gehört St. Pius X. zu den vielen in den 1960er Jahren entstandenen Béton-brut-Bauten. „Brutalismus“, dieser Stilbegriff meint eigentlich den rohen ehrlichen unverstellten Baustoff. Doch allzu oft wird damit eine „brutale“, eine unerträglich harte Architektur verbunden. Aber an der Piuskirche von Schürmann Architekten ist nichts Brutales. Diese Kirche ist eher im Fluss als durch kantiges Erstarren geprägt.

  • Überblick
    Ort
    Neuss

    Bistum
    Erzbistum Köln

    Name der Kirche
    St. Pius X.

    Weihe
    1972

    Architekt
    Schürmann Architekten

    Künstler
    Florian Otten, Hubert Spierling
    Besonderheit
    Die Kirche gehört mit ihrem sphärengeometrischen Konzept eines Einraums zu den wichtigsten plastisch-organischen Bauten der deutschen Nachkriegsarchitektur.

    Nutzung
    Pfarrkirche

    Standort / Städtebau
    Kirche und Pfarrzentrum St. Pius befinden sich innerhalb eines nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Neubaugebietes im Neusser Zentrum. Auf geräumigem Grund gesellt sich der dynamische Sichtbetonbau der Kirche mit den flachen, kubischen Gebäuden des Pfarrzentrums zu einer Art Kirchdorf.

  • Beschreibung

    Grundriss

    Neuss | St. Pius X. | Grundriss

    Neuss | St. Pius X. | Grundriss

    Der Grundriss ist sechsstrahlig (hexagonal). Eine längere Hauptachse mit halbrunden Abschlüssen (Konchen) wird diagonal von zwei, ebenso mit Konchen geschlossenen Nebenachsen durchkreuzt. Der Schnittpunkt aller drei Achsen liegt exakt in der Mitte des Raums. Der nordöstlich gelegene Altarraum ist etwas breiter als die übrigen Konchenarme angelegt, verjüngt sich aber leicht trapezoid auf dasselbe Konchenmaß. Die Apsis (Altarkonche) wird außen in gleicher Breite und wieder konchal von der Glockenstube umfasst.

    Die bis heute nicht veränderte Anordnung der Ausstattung sah bereits der Entwurf vor: Das quadratische einstufige Altarpodest befindet sich weit an der Schnittstelle zum Altarraum. Im linken vorderen Konchenarm (in Richtung des Altarraums gesehen) ist Platz für den Kreuzweg, im rechten vorderen der Abgang zur Sakristei. Die hintere Mittelachskonche birgt Orgel und Sänger. Aus allen drei hinteren Konchenarmen ziehen sich die Reihen der Kirchenbänke wie zusammenfließende Ströme hin zum Altarraum.

     

    Außenbau

    Neuss | St. Pius X. | Foto: Hartmut Junker, Bildarchiv Monheim

    Neuss | St. Pius X. | Foto: Hartmut Junker, Bildarchiv Monheim

    Außen präsentieren sich Kirchenbau und Glockenstube als Monolith. Lediglich tiefe Wandschnitte zwischen den beiden Baukörpern und zwischen den Konchenarmen sowie wenige unregelmäßig verteilte und tief in die Gebäudewellung eingebuchtete Fenster gliedern ihn. Das parabelförmige Flachdach wird gegen die Mittelachskonchen zu höhergeführt. Etwa alle zwei Meter eingesetzte horizontale Wandfugen und die Abdrücke der konsequent vertikal angelegten, gleichmäßigen Lattenverschalung betonen die wogenförmige Gesamterscheinung.

     

    Innenraum

    Neuss | St. Pius X. | Foto: EB Köln

    Neuss | St. Pius X. | Foto: EB Köln

    Die sphärengeometrische Gestalt der Kirche empfängt den Besucher auch innen. Das parabolische Dach kehrt als tief ins Wellental hängende Decke wieder. Der Fußboden senkt sich von allen Seiten leicht zum Mittelpunkt des Raums. So ist die Kirche insgesamt als „hexagonaler hyperbolischer Paraboloid“ geformt. Optische Wärme erhält der Raum durch die mit Holzschindeln verkleidete Hängedecke und den in rotem Ziegelpflaster gebildeten Fußboden. Helle, elektrische Hängeleuchten, die an die Ampelvielzahl orthodoxer Kirchen erinnern, beleuchten den Raum.

  • Liturgie und Raum
    Neuss | St. Pius X. | Foto: Daniela Günzel

    Neuss | St. Pius X. | Foto: Daniela Günzel

    Schürmannn Architekten haben mit dem Bau der Piuskirche dem in der liturgischen Reformbewegung favorisierten Zentralbau und dem sogenannten Einraum eine neue Variante abgewonnen. Der durch keinerlei Stützenstellung unterteilte, nur durch Umfassungswände, Fußboden und Decke umgrenzte und allseitig gleichmäßig ausgebildete, gemeinschaftliche Feierraum ist in der komplexen sphärengeometrischen Gestalt der Kirche klar angelegt. Der hexagonale Hyperboloid sammelt die von drei Seiten auf den Altar zuströmende Gemeinde am tiefsten Punkt des Raums, der Altar steht jedoch wieder leicht erhöht im flachen Hang der „Chorraumwoge“.

    Dies ist gegenüber vergleichbaren Kirchbauten der 1960er Jahre, so z. B. St. Laurentius in Köln-Lindenthal (Emil Steffann, 1961), St. Mariä Himmelfahrt in Düsseldorf-Unterbach (Josef Lehmbrock, 1963-64) oder ganz ausgeprägt die Schulkirche Franz von Sales in Düsseldorf-Wersten (Hans Schwippert, 1969-71) anders: Hier ist der Altar mehrseitig von Bänken umstellt und nimmt den Sohlpunkt eines der Struktur des Amphitheaters ähnlichen, flach eingetieften Raumganzen ein. In St. Pius X. hingegen können sich die Gottesdienstteilnehmer recht unterschiedlichen Raumerfahrungen aussetzen, indem sie sich einerseits gemeinschaftlich in der Mitte des Raums sammeln, andererseits aber auch in den hinteren Zonen der Gemeindekonchen separieren mögen.

  • Ausstattung
    Neuss | St. Pius X. | Portalgestaltung | Foto: Alexander Kleinschrodt

    Neuss | St. Pius X. | Portalgestaltung | Foto: Alexander Kleinschrodt

    An der Ausstattung der Kirche war, wie häufiger bei Schümann Architekten, der Bruder bzw. Schwager des Architektenpaares, Werner Schürmann, beteiligt. Altar und Tabernakelstele aus rosafarbenem Marmor sind von 1972. Typisch für Werner Schürmann ist der manieristisch in die Länge gezogene patinierte Bronzekorpus (1968/69) des Altarkreuzes. Auch das Betonrelief an der äußeren Portalwand stammt von ihm. Es stellt den apokalyptischen Kampf des göttlichen Engels (Lanzenschild mit dreifachem „Yin-Yang“ und Trinitäts-Dreieck) für den Menschen (stehende Gestalt mit über der Brust gekreuzten Armen) gegen das Böse dar (die unregelmäßige, chaotische Formung rechts).

    Der Ambo wurde 2003 von Florian Otten in Anpassung an Altar und Tabernakelstele geschaffen. Hubert Spierling steuerte 1997/98 die zurückhaltende, fast komplett in Milchtönen gehaltene Verglasung bei. Der von manchen etwas despektierlich „Kartoffelkiste“ genannte, aber zurückhaltend auf den Bau bezogene Prospekt der Seifert-Orgel (1972) stammt vom Architekten. Den Terrakotta-Kreuzweg gestalteten Frauen der Gemeinde unter Anleitung von Hildegard Zöller im Jahre 1998.

  • Von der Idee zum Bau

    Schürmann Architekten gingen als Sieger aus einem 1961 ausgeschriebenen Kirchbauwettbewerb hervor. Der Schürmannsche Entwurf sah einen Zentralbau mit fünf gleichgroßen und allseitig angefügten Winkelnischen (vier Seiten eines Sechsecks) plus breiter und tiefer geführtem, eckigem Altarraum, ebenfalls im 4/6-Maß, vor. Dieser prismatische Grundriss wurde in der Ausführung durch die organisch gerundete und damit einheitlicher erscheinende Gestaltung ersetzt. An die Stelle der eckigen Nischen traten die Konchen und die Chorapsis. Wie auch am Verzicht auf die Nebenaltäre zu sehen, dürfte für die Planänderung die Liturgiereform von 1963 eine Rolle gespielt haben. Die Grundsteinlegung erfolgte 1966. Erster Gottesdienst in der fertiggestellten Kirche war im April 1967. Die Konsekration erfolgte 1972, nachdem das Rektorat St. Pius X. zur eigenständigen Pfarrei erhoben worden war.

  • Das Architektenehepaar Schürmann

    Die Kirche St. Pius X. zeichnet sich durch eine beim Architektenpaar Joachim (geb. 1926) und Margot Schürmann (1924-98) sehr selten anzutreffende organisch geschwungene Gestalt aus. Vorbild dürfte Le Corbusiers ungemein einflussreiche Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut (1950-55) in Ronchamp gewesen sein. Schürmann Architekten bringen das bewusst Unregelmäßige des Le Corbusier’schen Entwurfs in eine homogene Gestalt. Durchhängende, mittels Stahlseilen oder Metallnetzen eingezogene Flachdächer wie in St. Pius X. finden sich ab den 1950er Jahren auch bei Bauten anderer Architekten. Joachim Schürmann trat mit der Kirche St. Stephan in Köln-Lindenthal (1958-61) sogar mit einer komplett an Stahlstützen aufgehangenen Architektur auf.

  • Literatur (Auswahl)
    • ein werk blick. margot und joachim schürmann architekten, Ausstellungskatalog, Köln, 2007.
    • Erzbistum Köln (Hg.): Neue Kirchen im Erzbistum Köln 1955-1995. Bd. 2, Köln 1995, 580, 826 ff.
    • Ingeborg Flagge (Hg.): schürmann. entwürfe und bauten, Tübingen 1997, 52 f.
    • Barbara Kahle: Rheinische Kirchen des 20. Jahrhunderts. Ein Beitrag zum Kirchenbauschaffen zwischen Tradition und Moderne (Arbeitshefte Landeskonservator Rheinland 39), Pulheim 1985, 74.
    • Pfarrgemeinde St. Pius X. (Hg.): Vierzig Jahre Pfarre St. Pius X. Festschrift, Neuss 2006.
    • Annette Ziegert: Sankt Pius, Neuss, in: Manfred Becker-Huberti (Hg.): Neusser Kirchen. Die katholischen Kirchen im Kreisdekanat Rhein-Kreis Neuss, Köln 2006, 87 f., 145.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Markus Juraschek-Eckstein M. A., Bergisch Gladbach (Beitrag online seit 0/2016)

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