Stuttgart-Sonnenberg

Evangelisches Gemeindezentrum

Anschrift Kirche
Johannes-Krämer-Straße 2-4
70597 Stuttgart
  • Informationen
    Kontakt / Öffnungszeiten Kirche Bitte im Pfarramt erfragen.
    Anschrift Pfarramt Evangelisches Pfarramt Sonnenberg
    Anna-Peters-Straße 29A
    70597 Stuttgart
    0711 7651580
    E-Mail
    Zur Webseite
    Öffnungszeiten Pfarramt MO - FR: 9.00 - 12.00 Uhr
    Gottesdienstzeiten Kirche Die aktuellen Gottesdienstzeiten können online eingesehen werden unter: www.stuttgart-sonnenberg.elk-wue.de/gottesdienst.
    Kirchen im Südwesten

„Jedes Haus ist eine Plastik“

Es ist nicht häufig der Fall, dass in Deutschlands jüngerem Kirchenbau auswärtige Architekten zum Zug kommen. Wettbewerbe sind vielfach auf einheimische bzw. regionale Büros begrenzt. Anders war dies auf dem Sonnenberg im Süden der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart: Hier konnte der Schweizer Architekt Ernst Gisel Mitte der 1960er Jahre in enger Zusammenarbeit mit der örtlichen Kirchengemeinde einen umfangreichen betonplastischen Kirchenkomplex verwirklichen. Mit Fritz Leonhardt und Frei Otto waren in seine Erstellung außerdem zwei international bekannte Tragwerksplaner einbezogen.

  • Überblick
    Ort
    Stuttgart-Sonnenberg

    Landeskirche
    Evangelische Landeskirche in Württemberg 


    Name der Kirche
    Evangelisches Gemeindezentrum

    Einweihung
    1966

    Architekt
    Ernst Gisel

    Künstler
    Ferdinand Gehr
    Besonderheit
    Betonplastisch gestaltet wurde nicht nur die Kirche, sondern das gesamte Gemeindezentrum. Der in zähem Ringen zwischen Architekt und Gemeinde entwickelte Gottesdienstraum verweist auf das Streben nach gemeindegemäßer Liturgie in den 1960er Jahren.

    Nutzung
    Mittelpunkt der Evangelischen Kirchengemeinde Stuttgart-Sonnenberg

    Standort / Städtebau
    Das Gemeindezentrum erhebt sich auf einem dreiseitig von Siedlungsstraßen umgebenen Eckgrundstück – inmitten einer vorörtlichen Streubebauung mit vorwiegend zweigeschossigen Einfamilienhäusern. Mitten im Stadtteil Sonnenberg gelegen, erstreckt sich dieser auf bergigem, nach drei Seiten von Wald bzw. Grünzonen umgebenem Terrain.

  • Beschreibung
    Grundriss

    Stuttgart-Sonnenberg | Evangelisches Gemeindezentrum | Grundriss

    Stuttgart-Sonnenberg | ev. Gemeindezentrum | Grundriss

    Mittelpunkt des Gemeindezentrums ist der nach Norden geöffnete Eingangs- bzw. Innenhof, von dem aus alle wesentlichen Zugänge zu Kirche, gemeindlichen Räumen und Kindergarten erreicht werden. Die Kirche selbst, vom Innenhof nach Westen gelegen, ist aus einem quadratischen Grundriss entwickelt, dessen nordwestliche Ecke kurvig-konkav ausgeschnitten wurde. Die Südostecke weitet sich auf zum Eingangs- und zum anschließenden Gemeindebereich, den man von drei Seiten um den Innenhof legte. Dabei findet sich der Kindergarten an der Süd- und der Gemeindesaal an der Ostseite. Der Glockenturm steht frei auf querrechteckigem Grundriss an der Nordseite – zu Seiten des Zugangs zum Innenhof.

     

    Außenbau

    Stuttgart-Sonnenberg | Evangelisches Gemeindezentrum | Außenbau | Foto: Gunther Seibold, CC BY 3.0

    Stuttgart-Sonnenberg | ev. Gemeindezentrum | Foto: Gunther Seibold, CC BY 3.0

    Vielfältig plastisch gegliedert zeigen sich die Sichtbetonwände der breit gelagerten, großteils eingeschossigen Baukörper-Gruppe. Das Ensemble aus Kirchengebäude, frei gestelltem Glockenturm, Kindergarten, Gemeindebereich und Mesnerwohnung ist dabei um einen brunnenbestandenen Hof gruppiert. Mit ihren niedrigen Flachbauten nimmt die hofartige Anlage zugleich Maßstäbe der Umgebung auf. Zurückhaltend geformt ordnen sich ihre Fassaden ein. Demgegenüber sticht die stark kantige, nach außen hin weitgehend geschlossene Kirche hervor, die sich an eine Straßenkreuzung im Viertel heranschiebt. Leicht zurückgesetzt, überragt der kantige Turm die Gesamtanlage und markiert den Zugang zur (Innen-)Hofanlage. Während Kirchenbau und Glockenträger entsprechend deutlich sichtbar sind, tritt die Hängedach-Konstruktion der Kirche nach außen hin kaum in Erscheinung. Die Plastizität des Gebäudes ist besonders im geräumigen, optisch geschlossenen Innenhof erlebbar: So ergibt sich hier ein Wechselspiel aus geraden und gekrümmten Flächen, durchdringen einander verschiedene geometrische Formen, werden große Volumina durch kleine Einschnitte aufgegliedert.

     

    Innenraum

    Stuttgart-Sonnenberg | Evangelisches Gemeindezentrum | Innenraum | Foto: Evangelische Kirchengemeinde Stuttgart-Sonnenberg

    Stuttgart-Sonnenberg | ev. Gemeindezentrum | Foto: Evangelische Kirchengemeinde Stuttgart-Sonnenberg

    Vom Innenhof zieht sich eine weich modellierte Pflasterung über den Eingangsbereich bis in den Kirchenraum. Dieser wird besonders durch seine Lichtführung geprägt: Helle, sehr rauh geputzte Wände reflektieren indirekt über Oberlichter einfallendes Licht, während zwei zwei Meter hohe, ebenerdige Öffnungen an der Südseite eine nur begrenzte Wechselbeziehung zum Außenraum zulassen. Durch die konkave Einbuchtung der im Nordwesten angelegten Altarwand rückt der Altarbereich weit in den Raum und damit in die Gemeinde hinein. Überspannt wird der Gottesdienstraum von einer eingehängten, wie ein Zeltdach wirkenden Deckenschale. Unverputzt belassen wurden nur die Versteifungsrippen der Dachkonstruktion und der Orgel-Emporen-Anlage im Südosten. Die eindrückliche, den Bau durchwirkende Lichtführung der Kirche findet sich auch in den Gemeinderäumen – in durchaus wiederkehrenden Elementen, die aber sehr differenziert und in feinen Abstufungen angewandt sind.

  • Liturgie und Raum
    Stuttgart-Sonnenberg | Evangelisches Gemeindezentrum | Foto: Gunther Seibold, CC BY 3.0

    Stuttgart-Sonnenberg | ev. Gemeindezentrum | Foto: Gunther Seibold, CC BY 3.0

    „Am Gottesdienst in der evangelischen Kirche sind Pfarrer und Gemeinde gleicherweise beteiligt. […] Deshalb sind Kanzel, Abendmahltisch und Taufbecken nicht von der Gemeinde abzusetzen, sondern zu der versammelten Gemeinde in eine jeweils gleichwertige Beziehung zu setzen“ (Zitat nach Erdmann Kimmig). So formulierte es ein gemeindlicher Arbeitskreis in seinem Programm, das die Vorstellungen des Bauherrn genau zu definieren suchte. Die danach stark vom Willen der Kirchengemeinde geprägte Raumlösung zeigt die Umbrüche der 1960er Jahre im evangelischen Kirchenbau an. In Ablösung von den „Grundsätzen für die Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes der evangelischen Kirchen“ von 1951 entfernte man sich vom axial entwickelten, auf einen erhöhten, bühnenartigen Altarbereich bezogenen Gottesdienstraum. Noch aber war der Weg zum vielgestaltig verwendbaren Mehrzweckraum nicht vollzogen, war die Kirche ganz auf liturgische Nutzung und Beziehung angelegt.

  • Ausstattung
    Stuttgart-Sonnenberg | Evangelisches Gemeindezentrum | Wandteppiche | Foto: Evangelische Kirchengemeinde Stuttgart-Sonnenberg

    Stuttgart-Sonnenberg | ev. Gemeindezentrum | Wandteppiche | Foto: Evangelische Kirchengemeinde Stuttgart-Sonnenberg

    Das gesamte Gemeindezentrum und damit auch die liturgische, sehr stark reduzierte Ausstattung der Kirche wurden als (architektonisches) Gesamtkunstwerk erstellt. Zentral ist der im Dialog zwischen Architekt und Gemeinde unter äußerster Formvereinfachung entwickelte, viereinhalb Meter lange Holztisch, an dem Predigt (mit aufgesetztem Pult), Taufe und Abendmahl ihren Ort haben. Die festen Bänke bieten Platz für ca. 350 Personen, Leuchter und Lesepult wurden handwerklich bearbeitet. Herausragend sind die im Wechsel des Kirchenjahrs gezeigten sechs Wandteppiche bzw. Antependien. Der Schweizer Künstler Ferdinand Gehr entwarf sie als einziges farbiges Schmuckelement in leuchtenden Farben und abstrakter Formensprache. Die Orgel an der Emporenkante wurde 1969 von der Werkstatt Vleugels aus Hardheim gefertigt.

  • Von der Idee zum Bau

    Die Siedlungsgeschichte des im Stuttgarter Süden gelegenen Sonnenbergs beginnt um die Wende zum 20. Jahrhundert. 1942 in die heutige baden-württembergische Landeshauptstadt eingemeindet, wies er sein größtes Wachstum in den 1930er Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Die seit 1959 selbstständige evangelische Gemeinde nutzte zunächst die 1939 erstellte Notkirche, das „Holzkirchle“. 1963 schrieb man einen Wettbewerb zum Neubau eines Gemeindezentrums aus, für den ein Arbeitskreis der Gemeinde in zweijähriger Vorarbeit ein Grundsatz-Programm erstellt hatte. Der Schweizer Architekt Ernst Gisel – neben den zugelassenen Architekten zum Entwurf aufgefordert – erzielte den ersten Preis. Die Umsetzung gelang in produktiver Auseinandersetzung mit dem Kirchengemeinderat. 1966 konnte das kirchliche, aber für die gesamte bürgerliche Gemeinde offene Zentrum eingeweiht werden. Die Deckenschale der Kirche wurde von den Tragwerksplanern Fritz Leonhardt und Frei Otto entwickelt. 1967 erhielt das Ensemble den Paul-Bonatz-Preis der Stadt Stuttgart, seit 2014 ist es „Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung“. Eine 2011 gegründete Stiftung unterstützt die heute knapp 2.000 Mitglieder zählende Gemeinde beim Erhalt der Anlage.

  • Der Architekt Ernst Gisel
    Stuttgart-Sonnenberg | Evangelisches Gemeindezentrum | Außenbau | Foto: Gunther Seibold, CC BY 3.0

    Stuttgart-Sonnenberg | ev. Gemeindezentrum | Foto: Gunther Seibold, CC BY 3.0

    Der Architekt und Künstler Ernst Gisel wurde am 8. Juni 1922 in Adliswil/Schweiz geboren. Nach Schulzeit und Lehre als Bauzeichner studierte er von 1940 bis 1942 an der Kunstgewerbeschule Zürich. Ab 1942 Mitarbeiter bei Alfred Roth, gründete er 1945 ein eigenes Atelier in Zürich, anfangs noch mit Ernst Schaer. Bald war er bei ersten Wettbewerben erfolgreich, es entstanden Kirchen, Theaterbauten, Kultur- und Sportstätten sowie verschiedene Schul- und Kommunalgebäude. Mehrfach wurde er in Zürich mit der „Prämierung guter Bauten“ geehrt. 1966 wurde Gisel Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Architekten (BDA), auch in Deutschland erhielt er etliche Preise, besonders in Baden-Württemberg.

    Gisel entwarf u. a. eine Wohnanlage im Märkischen Viertel in Berlin (1971), das Rathaus in Fellbach (1986) und den Gebäudekomplex der Stadtwerke mit Museum Judengasse in Frankfurt am Main (1990). Im Kirchenbau wurden nach seinen Plänen neben dem Gemeindezentrum in Stuttgart-Sonnenberg etwa das Gemeindezentrum der Evangelischen Studierendengemeinde in Mainz (1969), die Reformierte Kirche in Effretikon (1961), die Mischelikirche in Reinach (1963) und die Reformierte Kirche in Oberglatt (1964) – letztere drei in der Schweiz – erstellt. 1968/69 lehrte Gisel an der ETH Zürich, von 1969 bis 1971 an der Universität Karlsruhe. Langjährig war er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin (West) bzw. Berlin. Für sein architektonisches Lebenswerk nach dem Credo „Jedes Haus ist eine Plastik“ verlieh ihm die ETH Zürich 2004 die Ehrendoktorwürde. Seine Entwürfe und Malereien wurden in verschiedensten Ausstellungen präsentiert.

  • Literatur (Auswahl)
    • Gert Kähler (Hg.): Architektour. Bauen in Stuttgart seit 1900, Braunschweig/Wiesbaden 1991.
    • Erdmann Kimmig: Evangelisches Gemeindezentrum in Stuttgart-Sonnenberg. Architekt: Ernst Gisel BSA/SIA, Zürich, in: Das Werk. Architektur und Kunst 54, 1967, 2, 81-84.
    • Rüdiger Ott: Die Kirche erhält den Beistand der Behörde. Kulturdenkmal in Sonnenberg, in: Stuttgarter Zeitung, 26. Mai 2014  (Abruf: 3. Dezember 2018)
    • Sandra Pappe: Ernst Gisel: Parish Center and Protestant Church Sonnenberg, bei:
      #sosbrutalism.org  (Abruf: 7.April 2021).
    • Amber Sayah: Häuser, die auf ihren Ort bezogen sind. Denkmalschutz in Stuttgart und der Region, in: Stuttgarter Zeitung, 1. Juni 2014  (Abruf: 3. Dezember 2018).
    • Andrea Steudle: Evangelisches Gemeindezentrum in Stuttgart-Sonnenberg. Protestantischer Kirchenbau in Reinform, in: Gotteszelt und Großskulptur. Kirchenbau der Nachkriegsmoderne in Baden-Württemberg (Ausstellungskatalog Zwölf), Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Arbeitsheft 38, Ostfildern 2019, 216-221.
    • Nachlass des Architekten im Archiv der gta Zürich 
    • Kurzporträt zum Evangelischen Gemeindezentrum Stuttgart-Sonnenberg, auf: kirchbau.de (Abruf: 7. April 2021).

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Matthias Ludwig, Schweinfurt (Beitrag online seit 12/2018)

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