Wetzlar
St. Bonifatius
Volpertshäuser Straße 1
35578 Wetzlar
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Kirchen in Deutschlands Mitte
Der faltenreiche Mantel der Gottheit
Was an diesem Baukörper – von außen wie von innen – gleich ins Auge fällt, ist das Fehlen rechter Winkel. Allein mit ein- und ausschwingenden Rundungen legt sich die Mauer um den Kirchenraum von St. Bonifatius: So formt der Grundriss eine langgestreckte Ellipse, an die sich seitlich zwei flache, spiegelsymmetrisch ansitzende Bauten schmiegen. Die ganze Kirche ist derart bildhaft gestaltet, dass man sofort nach einem sinnfälligen Vergleich sucht. Und wirklich, das Architektenpaar Maria und Rudolf Schwarz umschrieb sein Konzept für Wetzlar mit dem „faltenreichen Mantel der Gottheit“: Dieses Bauwerk soll eine umfassende und allgütige Macht verkörpern, die sich um den Menschen legt und zu der er sich aufrichten kann.
- ÜberblickOrt
Wetzlar
Bistum
Bistum Limburg
Name der Kirche
St. Bonifatius
Weihe
1964 (28. Juni)
Architekten
Maria Schwarz, Rudolf Schwarz
Künstler
Joachim Pick, Maria Schwarz, Werner StrohlBesonderheit
Der außergewöhnlichen Grundrissform liegt eine langgestreckte Ellipse zugrunde, aus der seitlich zwei ellipsoide Querarme ausschwingen. Die alle Ellipsoide umschreibende Mauer weist keinerlei Winkel auf.
Nutzung
Pfarrkirche
Standort / Städtebau
St. Bonifatius befindet sich innerhalb einer mit schlichten zwei- bis viergeschossigen Wohnhäusern versehenen Siedlung der Nachkriegszeit. Mit dem gegenüberliegenden Einkaufszentrum bildet die Kirche an der recht stark befahrenen Volpertshäuser Straße eine Art städtisches Zentrum. - Beschreibung
Grundriss
Der Kirche liegt eine auf 42 Meter langgestreckte Ellipse zugrunde. Zwischen dem oberen Hauptscheitel und den beiden Nebenscheiteln schwingen zwei nahezu achsenparallele ellipsoide Querarme aus der Bahn. So ergibt sich die Gestalt eines lateinischen Kirchenkreuzes mit gerundeten Armen und parabelförmigem Altarraum. Die alle Ellipsoide umschreibende Mauer weist keinerlei Winkel auf. Dem Grundriss nach ist die Kirche ein organisches und durch keine Schiffe unterteiltes, einheitliches Gebilde. Das Langhaus wird von den aus- und einschwingenden Anbauten mit Verbindungstrakten zu Pfarrhaus und wabenförmigem Kindergarten flankiert.
Außenbau
Die weiß verputzte Außenwand ist in großen Abständen durch breite Wandvorlagen (Lisenen) gegliedert. Im oberen Drittel der dazwischen liegenden Wandfelder ist – außer am Fußende des mittleren Ellipsoiden – jeweils ein leicht hochrechteckiges großes Fenster ausgespart. Die rautenförmige Bleiverglasung dominiert die sparsam strukturierte Wand. Aufnahmen der Erbauungszeit zeigen, dass ehemals ein anderer Eindruck herrschte: Die reich facettierte Oberfläche der ursprünglich auch nach außen backsteinsichtig belassenen Wand korrespondierte mit milchig-farblosen Scheiben, welche die Struktur der kreuzförmig versetzten Fenster-Windeisen dezent zum Zeichen werden ließ.
Innenraum
Von der lebendigen Wirkung einer Backsteinwand, in der auch Fehlbrände, also nicht perfekt gefertigte Ziegel eingemauert sind, kann man sich im 14 Meter hohen Innenraum überzeugen. In unaufgeregter Weise setzen sich die umlaufende Wand, der anthrazitfarbene Schieferfußboden und die hölzerne Flachdecke voneinander ab. Zwei doppelt eingekehlte Sichtbetonstützen, die genau über den inneren Nebenscheitelpunkten der ellipsoiden Querarme stehen, ergänzen den bauzeitlich typischen Material- und Farbenmix. Zugleich markieren sie den Übergang zwischen Altarraum, Gemeinderaum und Querarmen. Der um insgesamt vier Stufen erhöhte freistehende Altar wird (von der Gemeinde aus) links auf den Stufen vom Ambo und in der linken Nebenapside vom Taufbecken begleitet. Dem Altar gegenüberliegend, ist die Orgel über der getreppten Sängerbühne „schwebend“ im Scheitelpunkt der Südwand verortet.
- Liturgie und Raum
Zum Verständnis des liturgischen Raums verwies Maria Schwarz – Mitarbeiterin, Witwe und Erbwalterin des Architekten Rudolf Schwarz – auf zwei andere ellipsoide Kirchen des Architektenpaars. Zunächst ist die zeitgleich entstandene Kirche St. Ludger in Wuppertal-Vohwinkel zu nennen: Hier wie dort habe man eine „heilige Stadt“ bauen wollen, deren liturgische Orte „in den faltenreichen Mantel der Gottheit“ gehüllt seien. Eine Gemeinsamkeit zur etwa zehn Jahre älteren Frankfurter Michaelskirche bestehe in der schluchtartigen Gestalt des Innenraums. Eine Wanderung durch die Schweizer Aareschlucht war dem Architektenpaar einst zum existenziellen Erlebnis geworden: „Senkrecht umstanden Felswände den Raum, und oben war der offene, blaue Himmel. Wir erkannten die Wanderung durch Schluchten als eine allgemein menschliche Situation, die wir dann in St. Michael bauten.“
So setzt auch St. Bonifatius das Unterwegssein des Menschen in Architektur um, setzt Mensch und Gott im gebauten Raum in eine existentielle Beziehung zueinander. Die leicht dreiseitige, radiale Umstellung des vorkonziliar geplanten Altars mit Bänken entspricht Rudolf Schwarz’ Idee des „offenen Rings“, in dem der Altar „Mitte und Übergang, Scheidung und Schwelle“ zwischen dem sich im „heiligen Aufbruch“ befindlichen Volk und dem „schlechthin Offenen“ sei.
- Ausstattung
Viele Kirchen von Rudolf und Maria Schwarz besitzen große, hochgelegene Fenster. Ursprünglich wurden sie fast immer mit Milchglas oder Glasbausteinen versehen. Ihre hohe Anbringung ließ keinen Blick nach außen zu, brachte aber „das reine Licht“ von oben in den Raum und schuf so eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Dieses Konzept wurde für St. Bonifatius allerdings schon um 1965 aufgegeben und es entstanden die dunkelfarbigen „Rautenfenster“ des Künstlers und Frankfurter Domkustos Joachim Pick. Das Bildprogramm der Fenster war von Pick ursprünglich für eine Allerheiligenkirche vorgesehen.
In dem Sinne, dass erst eine sichtbare Lichtquelle den Raum schaffe (Maria Schwarz), korrespondieren vierzig gereihte Hängeleuchter mit der ein- und ausschwingenden Innenwand: 40 Tage währte die Sintflut, bis Gott seinen Bogen über den Menschen stellte; 40 Tage war Mose auf dem Berge Sinai Gott nahe; 40 Jahre zog das Volk Israel durch die Wüste und 40 Tage nach seiner Auferstehung fuhr Jesus in den Himmel auf! Die weiteren liturgischen Ausstattungsstücke wie Altar, Taufbecken und Ambo aus grau-weißem Main-Sandstein entwarfen Maria Schwarz und Werner Strohl. 2016 ergänzte die Gemeinde eine hölzerne Gedenkstele für Verstorbene sowie das Holzrelief „Heilige Familie“ des Kelkheimer Künstlers Johannes Klarmann.
- Von der Idee zum Bau
Die Pfarrgemeinde St. Bonifatius wurde am 1. Oktober 1959 gegründet. Der Auftrag zum Bau einer Kirche mit Gemeindesaal, Pfarrhaus und Kindergarten erging noch im selben Jahr direkt an das Büro Rudolf Schwarz in Frankfurt/Main und Köln. Rudolf Schwarz’ Ehefrau Maria begleitete ihren Mann auf allen Planungsfahrten. So entstanden die Entwürfe gemeinsam, bereichert durch die Mitarbeiter Werner Strohl und Hilde Strohl-Goebel. Nach dem Tod Rudolf Schwarz’ im Frühjahr 1961 übernahm Maria Schwarz den Bauauftrag. Der erste Spatenstich erfolgte auf Palmsonntag 1962, Grundsteinlegung war am 15. August des Jahres. Im Sommer 1963 wurde der erste Gottesdienst im noch dachlosen Hauptschiff der Kirche gefeiert. Richtfest war am 20. Juni 1963, Kirchweihe am 28. Juni 1964. 1967 wurde der Außenbau weiß verputzt und 1976 kam das Kreuz aus Spezial-Alu-Guss außen auf die Stirnwand. Seit 2006 steht St. Bonifatius unter Denkmalschutz.
- Die Architekten Maria und Rudolf Schwarz
Rudolf Schwarz (1897-1961) war 1923/24 Meisterschüler und Mitarbeiter Hans Poelzigs in Berlin. Von 1927 bis 1934 leitete er die Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Aachen. Mit der 1929/30 gebauten Aachener Pfarrkirche St. Fronleichnam schuf Schwarz einen Klassiker des modernen Kirchenbaus. Seine aktive Teilnahme an der liturgischen Reformbewegung der 1920er Jahre, Tätigkeiten als Planungsarchitekt für den Wiederaufbau des französischen Lothringen unter deutscher Besatzung (1941), als Stadtplaner Kölns (1946-52) und vor allem sein dezidiertes Interesse am Kirchenbau ermöglichten eines der markantesten Architekten-Oeuvres Deutschlands.
1951 heiratete Schwarz seine Mitarbeiterin, die Architektin Maria Lang, mit der er fortan alle Projekte gemeinsam durchführte. Maria (* 1921) und Rudolf Schwarz umschrieben wiederholt von ihnen verantwortete Kirchenbauten mit dem Bild des Mantels: so die kelchförmige Gnadenkapelle in Köln-Kalk (ab 1946), St. Maria Himmelfahrt in Wesel (ab 1949), die St. Annakirche in Düren (ab 1951) oder St. Joseph in Köln-Braunsfeld (ab 1952). Grundlegend für das Schutzmantelmotiv waren ihrer beider Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Ab 1924 hatte Rudolf Schwarz immer wieder poetische Bilder für seine theologisch fundierten Konstruktionsbauten verwendet. In seinem architekturtheoretischen Hauptwerk „Vom Bau der Kirche“ (1938) stellte er sieben Grundtypen ideeller Kirchenbauten vor, die den dynamischen Fortschritt des Menschen zu Gott hin – von der „heiligen Innigkeit“ bis zum „heiligen All“ und zum „Ganzen“ – verkörpern.
- Literatur (Auswahl)
- Karin Becker: Rudolf Schwarz 1897–1961. Kirchenarchitektur, Dissertation, Bielefeld 1981, 438-440.
- Ute Fendel: St. Bonifatius in Wetzlar, unveröffentlichtes Vortragsskript, Köln/Wetzlar 2015.
- Thomas Hasler: Architektur als Ausdruck. Rudolf Schwarz, Zürich und Berlin 2000, 199.
- Katholisches Pfarramt St. Bonifatius (Hg.): St. Bonifatius, Wetzlar. Festschrift zur Einweihung der Kirche, Wetzlar 1964.
- Annette Krapp: Die Architektin Maria Schwarz. Ein Leben für den Kirchenbau, Regensburg 2015, 125-126, Kat.-Nr. 49 [zugl. Dissertation, Bonn, 2012].
- Wolfgang Pehnt/Hilde Strohl: Rudolf Schwarz. Architekt einer anderen Moderne, Ostfildern-Ruit 1997, 296.
- Maria Schwarz: Das Erbe von Rudolf Schwarz. Kirchenentwürfe von Rudolf Schwarz: Nach seinem Tode von seiner Frau Maria Schwarz und von Schülern verwirklicht, in: Das Münster 20, 1967, 28-29, 36.
- Rudolf Schwarz: Vom Bau der Kirche, Würzburg 1938, Neuauflage Salzburg und München 1998.
- Rudolf Schwarz: Kirchenbau. Welt vor der Schwelle, Heidelberg 1960, 346.
Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.