Zwickau-Neuplanitz

Versöhnungskirche

Anschrift Kirche
Erich-Mühsam-Straße 48
08062 Zwickau-Neuplanitz
  • Informationen
    Kontakt / Öffnungszeiten Kirche Besichtigung und Führungen nach Absprache. Während der Öffnungszeiten im Pfarramt, außerhalb der Öffnungszeiten bei Familie Storl, Erich- Mühsam-Straße 48, Zwickau.
    Anschrift Pfarramt Versöhnungskirchengemeinde - Standort Neuplanitz
    Erich-Mühsam-Straße 48
    08062 Zwickau-Neuplanitz
    0375 783164
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    Öffnungszeiten Pfarramt Bitte telefonisch oder per mail erfragen!
    Gottesdienstzeiten Kirche Die aktuellen Veranstaltungen und Gottesdienstzeiten können online eingesehen werden unter: www.versoehnungskirchgemeinde.de/home/neuplanitz/.
    Kirchen im Osten

Drache, Hahn oder Schiff ?

Eigentlich ist die Zwickauer Versöhnungskirche nur ein Dach, aber was für eines. So lassen Turm und Bau an einen Hahn mit spitzem Schnabel denken oder an einen Drachen, der kräftige Zacken auf seinem gepanzerten Rücken trägt. Oder an einen umgedrehten beschützenden Schiffsrumpf. Schon der Name der Kirche ist Programm: Der christliche Versöhnungsgedanke wurde während der friedlichen Revolution in eine neue organische Architektursprache übersetzt, in einen warmen bergenden Raum von besonderer sakraler Qualität. Als erster evangelisch-lutherischer Kirchenneubau in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung kommt dem Gotteshaus zudem hohe regionalgeschichtliche Bedeutung zu.

  • Überblick
    Ort
    Zwickau-Neuplanitz

    Landeskirche
    Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens


    Name der Kirche
    Versöhnungskirche

    Einweihung
    1991 (1. Dezember)

    Architekt
    Andreas Weise

    Künstler
    Abraham Dürninger, Arend Zwicker
    Besonderheit
    Dieser erste evangelisch-lutherische Kirchenneubau in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung wurde nicht als zeittypische Stahl- und Beton-Architektur errichtet, sondern mit natürlichen "altbewährten" Materialien.

    Nutzung
    Gemeindekirche

    Standort / Städtebau
    Am Rand der Plattenbausiedlung Neuplanitz, für die das Gemeindezentrum gebaut wurde, steht die Versöhnungskirche in einer Reihe mit Wohngebäuden des 19. Jahrhunderts und modernen Einfamilienhäusern.

  • Beschreibung

    GrundrissZwickau-Neuplanitz | Versöhnungskirche | Grundriss

    Die Versöhnungskirche ruht auf einem ovalen Grundriss, aus dem an der Westseite ein Segment ausgespart wurde. Mit dem Altar im Osten und dem Turm im Westen folgt die Kirche der klassischen Ausrichtung. Der Kirchturm, ein Campanile, zeigt im Grundriss die Form eines lateinischen Kreuzes.

     

    Außenbau

    Zwickau-Neuplanitz | Versöhnungskirche | Foto: Verena Schädler

    Zwickau-Neuplanitz | Versöhnungskirche | Foto: Verena Schädler

    Das Ensemble liegt am Rand einer Plattenbausiedung. Markant weist der 30 Meter hohe Turm – inmitten einer Straßenzeile mit Vorstadthäusern des 19. Jahrhunderts – den Standort aus. Die Kirche und das Gemeindezentrum, das durch die Umgestaltung eines bestehenden Gebäudes entstand, wurden durch ein neues Zwischenelement verbunden. Dieses dient als Foyer und öffnet das gesamte Ensemble zur Straße. Durch die verglaste Westfassade mit dem Hauptportal wirkt die Kirche mit vielen symmetrischen Gliederungselementen besonders einladend. Nach außen verschmelzen Haus und Dach zu einem einzigen Baukörper. Dabei wurde die zunächst ungewöhnlich wirkende äußere Form aus den Bedürfnissen des Innenraums heraus entwickelt, z. B. optimieren die Dreiecksgauben die natürliche Belichtung des Altarbereichs. Als Baumaterialien kamen vorwiegend Holz, Schiefer und Glas, für den umlaufenden Sockel Ziegel und Naturstein und auf dem Dachfirst eine Schmiedearbeit zum Einsatz.

     

    Innenraum

    Zwickau-Neuplanitz | Versöhnungskirche | Foto: Verena Schädler

    Zwickau-Neuplanitz | Versöhnungskirche | Foto: Verena Schädler

    Das Kircheninnere betont in der Tradition des Zentralraums die Mitte, erweist sich aber zugleich als gerichtet: Als Endpunkt der vom Altar ausgehenden Ost-West-Achse wurde der Glockenturm angeordnet. Naturbelassendes Eschen- und Kiefernholz prägen die sichtbar belassene Holzleimbinderkonstruktion des Kirchenraums.

  • Liturgie und Raum
    Zwickau-Neuplanitz | Versöhnungskirche | Altarraum | Foto: Verena Schädler

    Zwickau-Neuplanitz | Versöhnungskirche | Altarraum | Foto: Verena Schädler

    Die Versöhnungskirche lässt sich mit einem umgedrehten Schiffsrumpf vergleichen. In dieses Bild passt, dass an ihrem Bau auch Schiffszimmerer beteiligt waren. Ein „sichtbares Aufsteigen und logisches Zueinanderfinden der tragenden Holzrahmen“ steht, den Planern zufolge, für ein Vertrauensangebot des bergenden spitzbogigen Raums. Die Versöhnung Gottes soll im Abendmahl gegenwärtig werden, im gottesdienstlichen und gemeindlichen Leben weiterwirken und schließlich nach außen strahlen – auch und vor allem in die anonyme Umgebung der Großwohnsiedlung.

  • Ausstattung

    Die bewusst zurückhaltende Ausstattung setzt an den entscheidenden Stellen klare Akzente. Den Altar gestaltete der Künstler Arend Zwicker (geb. 1958 in Chemnitz) als monumentalen Sandsteinblock, aus dem ein schlankes Kreuz herausgeschnitten ist, das einzige Kreuz im gesamten Altarraum. Der 6 Meter hohe und ebenso weitspannende Versöhnungsbogen von Zwicker aus roh behauenem Stahl tritt durch seine unsymmetrische Form deutlich hervor. Er wurde aus drei Einzelteilen vor Ort zusammengesetzt und erinnert mit mehreren heraustretenden Spitzen unwillkürlich an die Dornenkrone Jesu.

    Die Gestaltung des schmiedeeisernen Osterleuchters oblag dem Künstler Abraham Dürninger aus Herrnhut. Beweglich gehalten sind das hölzerne Taufbecken mit der Messingschale und der hölzerne Ambo, beide nach Entwürfen des Architekten Andreas Weise gefertigt. Für die farbigen Fenster in hellen Braun-, Grün-, Blau- und Gelbtönen zeichnet ebenfalls Weise verantwortlich. Die Ausstattung komplettieren vier verschiedenfarbige handgefertigte Antependien, die je nach liturgischem Anlass den Ambo schmücken.

  • Von der Idee zum Bau

    Die 1973 begonnene Plattenbausiedlung Zwickau-Neuplanitz sollte 24.000 Menschen aufnehmen. Kirchen waren in solchen sozialistischen Satellitenstädten zunächst nicht vorgesehen, was sich mit den „Sonderbauprogrammen“ als Devisenquelle änderte. Die nach Neuplanitz ziehenden evangelischen Christen wurden 1. Januar 1977 zur selbständigen Versöhnungsgemeinde zusammengefasst, doch erwies sich die Suche nach einem eigenen Baugrund als äußerst schwierig. 1981 gelang es dem damaligen Pfarrer Schönfelder, von privater Hand einen Teil des heutigen Kirchengrundstücks am Rand der Plattenbausiedlung zu erwerben. Nach weiteren Einzelankäufen, einem Tausch und einem Rückübertragungsantrag konnte das Vorhaben 1996 endlich zum Abschluss gebracht werden.

    Ab 1986 wurden die Vorschläge konkreter: Man wollte das vorhandene Wohnhaus für die Gemeindearbeit umgestalten und eine neue Kirche als eigenständigen Baukörper in traditioneller Konstruktionsweise errichten. Ein staatliches Planungsbüro der TU Dresden entwarf die Neuplanitzer Kirche als Holzbinderkonstruktion, eine in der DDR beliebte Bauweise zum Überspannen hallenartiger Räume. Da ausreichend Bauholz aus kircheneigenen Wäldern zur Verfügung stand, sagte das Holzwerk im thüringischen Hermsdorf die Fertigung der Leimbinder zu. Für die letztendliche Form – an die Gotik erinnernde Spitzbögen – wurden die Binder gedreht und halbiert. Die Planung übernahm Andreas Weise, der sich gerade als Architekt selbstständig gemacht hatte.

    Die Grundsteinlegung fand am 13. Juli 1990 statt. Durch die politischen Umstrukturierungen war es inzwischen möglich, aufwändigere Materialien wie Moselschiefer zu nutzen. Am 1. Dezember 1991 wurde die Kirche eingeweiht, ein halbes Jahr später folgten die Glocken, 1996 kam die Orgel hinzu. Sowohl der Architekt und der bildende Künstler als auch die Orgelbaufirma standen mit diesem Projekt ganz am Anfang ihrer beruflichen Tätigkeit. Vorbilder der Kirche sind wohl u. a. in der organischen Architektur Ungarns zu sehen, vor allem in den Projekten von Imre Makovecz (geb. 1935).

  • Der Architekt Andreas Weise

    Andreas Weise wurde 1957 in Dresden geboren und studierte an der Technischen Universität seiner Heimatstadt bis 1984 Architektur. Dort war er zunächst als Assistent bei Prof. Georgi (Sektion Architektur, Künstlerische Grundlagen der Architektur) tätig, um im Anschluss von 1988 bis 1990 als freier Architekt im Künstlerkollegium „de Sein“ in Schloss Batzdorf zu arbeiten. Im Jahre 1990 gründete Weise sein eigenes Büro, mit dem er sich dem organischen Bauen ebenso wie der Tradition und der Erhaltung verpflichtet sieht.

    Die Zwickauer Versöhnungskirche ist Weises Erstlingswerk, für das er traditionelle Leitbilder eigenständig interpretierte. Wichtig war ihm die Verwendung von natürlichen „warmen“ Materialien. Andreas Weise wollte, seinen eigenen Aussagen zufolge, auch auf das Notkirchenprogramm von Otto Bartning Bezug nehmen, indem er Formen und Materialien stark reduzierte und auf die hölzerne „Barackenform“ anspielte.

  • Literatur (Auswahl)
    • Christiane Barnert: Die Versöhnungskirche in Zwickau, Magisterarbeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena 2006.
    • Evangelisch-Lutherische Versöhnungskirche Zwickau. Kirchweihe. Festschrift zum 1. Dezember 1991, hg. vom Kirchenvorstand der Ev.-Luth. Versöhnungsgemeinde Zwickau, Schmölln 1991.
    • Jürgen Härdler/Rainer Hertting-Thomasius: Eine Baustilfibel mit stadtbaugeschichtlicher Einführung, Zwickau 2000, 106.

     

    Wir danken allen Bildgebern für ihre freundliche Unterstützung: Die Bildnachweise werden jeweils am Bild selbst geführt.

Text: Dr. Verena Schädler, Weißenburg (Beitrag online seit 06/2016)